Das Bourne-Vermächtnis
das solltest du auch.«
Er stand lange Augenblicke unbeweglich und nahm ihre Worte in sich auf. Das Brausen und Zischen der Wogen, die sich tief unter ihnen an den Felsen brachen, klang unnatürlich laut. Dann nickte Arsenow plötzlich, und der Vorfall war erledigt. Das war seine Art.
»Wir müssen nur noch Magomet entsorgen«, stellte er fest.
»Den wickeln wir in eine Wolldecke und nehmen ihn zu dem Treff mit. Die Besatzung des Fischerboots kann ihn auf hoher See über Bord werfen.«
Arsenow lachte. »Sina, du bist die tüchtigste Frau, die ich kenne.«
Als Bourne aufwachte, fand er sich auf einer Art Zahnarztstuhl wieder. Er sah sich in dem Raum mit den schwarzen Betonwänden um, sah den großen Abfluss in der Mitte des weiß gefliesten Bodens, den aufgerollt an der Wand hängenden Wasserschlauch und das neben dem Stuhl stehende Wägelchen mit mehreren Etagen, auf denen blitzende Instrumente aus Edelstahl aufgereiht waren, die offenbar alle dazu dienten, Menschen schreckliche Schmerzen zuzufügen. Er versuchte, Handgelenke und Fußknöchel zu bewegen, aber die breiten Ledergurte waren, das sah er jetzt, mit denselben Schnallen gesichert wie Zwangsjacken.
»Spar dir die Mühe«, sagte Annaka, die hinter dem Stuhl hervortrat. Bourne starrte sie sekundenlang an, als habe er Mühe, sie deutlich zu erkennen. Zu einer Hose aus weißem Nappaleder trug sie eine ärmellose schwarze Seidenbluse mit tiefem Ausschnitt – eine Aufmachung, in der sie sich nie gezeigt hätte, als sie noch die Rolle der unschuldigen Konzertpianistin und liebenden Tochter gespielt hatte. Er verwünschte sich, weil er sich von ihrer anfänglichen Antipathie gegen ihn hatte täuschen lassen.
Darauf hätte er nicht reinfallen dürfen. Sie war zu hilfsbereit gewesen und hatte sich allzu gut in Molnars Gebäude ausgekannt. Aber daran ließ sich nachträglich nichts mehr ändern, deshalb schluckte er seine Enttäuschung hinunter und konzentrierte sich auf seine verzweifelte Lage.
»Was für eine wundervolle Schauspielerin du doch
bist!«, sagte er.
Ein langsames Lächeln machte ihre Lippen breiter, und als sie sich leicht teilten, konnte er ihre weißen, ebenmäßigen Zähne sehen. »Nicht nur dir, sondern auch Chan gegenüber.« Sie zog den einzigen Stuhl in dem Raum heran und setzte sich dicht neben Bourne. »Weißt du, ich kenne ihn gut, deinen Sohn. O ja, ich weiß, Jason. Ich weiß mehr, als du denkst, viel mehr als du selbst.« Sie lachte leise: ein melodischer, glockenreiner Laut, aus dem reines Entzücken sprach, während sie Bournes Gesichtsausdruck in sich aufnahm. »Chan hat lange nicht gewusst, ob du lebst oder tot bist. Er hat mehrmals versucht, dich aufzuspüren – immer vergeblich, weil deine CIA dich hervorragend versteckt hatte –, bis Stepan ihm geholfen hat. Aber schon bevor er wusste, dass du tatsächlich noch lebst, hat er alle seine Mußestunden damit verbracht, sich raffinierte Methoden auszumalen, wie er sich an dir rächen würde.«
Sie nickte. »Ja, sein Hass auf dich hat ihn völlig beherrscht, Jason.« Sie stützte ihre Ellbogen auf die Knie und beugte sich zu ihm hinüber. »Wie fühlst du dich, wenn du das hörst?«
»Oh, ich bewundere deine schauspielerischen Fähigkeiten.« Trotz der starken Gefühle, die sie bei ihm provoziert hatte, war er entschlossen, sich nichts anmerken zu lassen.
Annaka zog einen Schmollmund. »Ich bin eine Frau
mit vielen Talenten.«
»Und anscheinend mit vielen Loyalitäten.« Er schüttelte den Kopf. »Bedeutet dir die Tatsache, dass wir uns gegenseitig das Leben gerettet haben, wirklich nichts?«
Sie setzte sich wieder auf, wirkte plötzlich energisch, fast geschäftsmäßig. »Zumindest darin können du und ich übereinstimmen. Oft sind Leben und Tod die einzigen Dinge, auf die’s ankommt.«
»Dann befreie mich«, sagte er.
»Klar, weil ich mich Hals über Kopf in dich verliebt habe, Jason.« Sie lachte. »So funktioniert die Sache im richtigen Leben leider nicht. Das Leben habe ich dir aus einem einzigen Grund gerettet: Stepan.«
Er runzelte die Stirn, während er konzentriert nachdachte. »Warum tust du das?«
»Warum nicht? Ich kenne Stepan schon seit vielen
Jahren. Eine Zeit lang war er der einzige Freund, den meine Mutter hatte.«
Das überraschte Bourne. »Spalko war mit deiner Mutter befreundet?«
Annaka nickte. Da er nun gefesselt war und keine Gefahr für sie darstellte, wollte sie anscheinend mit ihm reden. Das machte Bourne zu Recht misstrauisch.
»Er hat
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