Das Brandhaus - Roman
keinen Alkohol getrunken.
Das Zimmer war groß und hell. An einer Wand stand ein breites Bett. Von der Decke hing ein durchsichtiger weißer Stoff. Irene wusste, wie beliebt solche Bettvorhänge bei Mädchen waren. Die Farben waren dafür relativ ungewöhnlich: ein kirschroter Bettüberwurf, limonengrüne Kopfkissen, ein rot-grün-weißgestreifter Teppich und weiße Wände, die aber nur zu ahnen waren, da sie mit Bildern von Pferden verschiedenster Rassen tapeziert waren. Eines der Bilder hatte sofort Irenes Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Über dem Bett hing ein großes Plakat eines schimmernden, kohlschwarzen Pferdes. Es bäumte sich mit wehender Mähne vor einem sommerblauen Himmel auf. Auf seinem Rücken saß ein junger Mann. Seine eingeölten, gebräunten Muskeln funkelten in der Sonne. Das war deutlich zu sehen, denn er war vollkommen nackt.
Auf dem Schreibtisch verrieten ein paar Kabel und ein Drucker, dass die Kriminaltechniker den Computer des Mädchens mitgenommen hatten.
»Bekommen wir … ihre Sachen zurück?«, schluchzte Marina Hallwiin.
Irene sah, wie sehr sie versuchte, sich zu beherrschen, und legte ihr erneut eine Hand auf die Schulter.
»Ja. Sie bekommen alles zurück, wenn wir es uns angesehen haben. Wir interessieren uns hauptsächlich für den Computer, da wir ihr Mobiltelefon nicht gefunden haben. Besaß Alexandra einen eigenen Computer?«
Irene fragte, obwohl sie die Antwort kannte. Marina Hallwiin nickte und schluckte dann. Mit zitternder Hand deutete sie auf den Schreibtisch ihrer Tochter.
»Dort. Der … Computer stand dort.«
Irene sah sich um, als fielen ihr die ganzen Pferdeposter erst jetzt auf.
»Alexandra scheint sich sehr für Pferde interessiert zu haben«, sagte sie.
»Ja. Das ist ihre große Leidenschaft. Prince ist ihr eigenes Pferd. Sie und er …«
Die Stimme der Mutter brach, und sie schluchzte auf. Sie richtete einen zitternden Zeigefinger auf die Wand über dem weißen Bücherregal. Hier hingen bunte Schleifen in allen Farben. Siegerschleifen. Davor standen einige Pokale unterschiedlicher Größe.
»Begabt … sehr begabt«, murmelte Marina Hallwiin mit belegter Stimme.
»Ja, wirklich. Wie lange ist sie denn geritten?«
»Seit sie sieben war.«
»Aber so lange kann sie Prince doch nicht besessen haben?«
»Nein. Er … seit drei Jahren.«
Irene kannte sich überhaupt nicht mit Pferden aus. Sie wusste nur, dass sie bissen und nach hinten austraten. Für sie war das Thema bereits erschöpft. Sie beschloss deswegen, sich gleich der Frage zuzuwenden, über die sie seit der Besprechung mit den Kollegen am Morgen nachdachte.
»Wo bewahrt Alexandra ihre Unterwäsche auf?«, fragte sie.
Marina Hallwiin zuckte zusammen und sah Irene zum ersten Mal direkt an. Dann erhob sie sich langsam und nickte, als wüsste sie, warum Irene ausgerechnet diese Frage stellte. Sie schob eine Schranktür mit Spiegel beiseite, und einige Metallkörbe kamen zum Vorschein.
»Daran habe ich … auch schon gedacht …«, flüsterte sie.
Irene zog die Körbe heraus, bis sie jenen fand, in dem Socken und BHs lagen. Fünf BHs der Größe 70 A: ein roter, ein schwarzer, ein hellblauer und zwei weiße. Sie waren sehr ähnlich und aus einem glatten, glänzenden Stoff mit stabilen Körbchen.
»Besaß Alexandra noch andere Büstenhalter?«
»Nein … sie fand, dass sie so einen kleinen Busen hatte. Sie hat sie bei Lindex gekauft … Das geht mir seit gestern auch durch den Kopf. Der BH, den sie da anhatte, das war gar nicht ihrer!«
Die letzten Worte stieß sie wie einen Schrei aus. Das bestätigte, was Irene bereits geahnt hatte. Der BH, den Alexandra getragen hatte, als man sie fand, war für eine Vierzehnjährige, die sich für Pferde interessierte, viel zu aufreizend. Der durchsichtige schwarze Spitzenbüstenhalter war mit gestickten Rosen zwischen den Körbchen verziert und tief ausgeschnitten gewesen und hatte die Brustwarzen nicht ganz verdeckt.
»Sie haben also nie gesehen, dass Alexandra einen solchen BH getragen hat?«
»Nie!«
Die Antwort kam ohne Zögern, und gleichzeitig hob Marina Hallwiin das Kinn etwas an.
»Wissen Sie, was Alexandra für einen BH trug, als sie verschwand?«
»Einen schwarzen. Sie besaß zwei schwarze.«
Am Vortag, als Irene den Eltern ein Foto des Spitzen-BHs gezeigt hatte, hatte keiner der Beamten reagiert. Die Eltern hatten beide nach der Trauernachricht unter Schock gestanden. Sie hatten beide den Kopf geschüttelt und gesagt, sie hätten diesen
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