Das Brandhaus - Roman
die sie für relevant hielt. Sicherheitshalber schrieb sie zunächst auch Frauen auf, hörte damit jedoch rasch wieder auf. Mr. Groomer war zweifellos ein Mann.
Als sie am anderen Ende des Zuges angekommen war, verschwand sie erst einmal auf der Toilette, um in Ruhe einen Blick auf ihren Block zu werfen.
Der Zug bestand aus fünf Wagons, davon einen erster Klasse. Insgesamt saßen 32 Männer an ihren Computern, davon entsprachen 27 der relevanten Altersgruppe. Irene war sich vollkommen sicher, dass zwölf von ihnen Mails schrieben oder chatteten. Es konnte sich aber auch um zwanzig handeln. Dass diese Zahl unsicher war, lag daran, dass die Polizisten ein Problem nicht vorhergesehen hatten: Acht der Männer verwendeten Palmtops oder normale Handys mit Internetanschluss. Irene hatte auf den winzigen Displays nichts erkennen können.
Sie zog ihr Handy aus der Tasche und rief Jens an.
»Hier ist Irene. Und? Ist er online?«
»Nein.«
Enttäuscht steckte Irene ihr Handy wieder ein. Vielleicht befand er sich gar nicht im Zug? Vielleicht las er aber auch einfach gerade oder schlief? Trotz ihrer Zweifel wiederholte Irene die Prozedur beim zurückgehen.
Als sie wieder auf ihrem Platz saß, ging sie ihre Notizen ein weiteres Mal durch. Doch es hatte sich nichts Neues ergeben. Ihr war klar, dass ein Plan wie dieser nur Erfolg haben konnte, wenn sie mindestens zu dritt waren. Aber dazu fehlten die Mittel und das Personal. Sie seufzte und versuchte dann den Rest der Strecke bis Malmö Central zu schlafen.
Eine halbe Stunde später traf der Zug dort ein.
Wie vereinbart erwartete sie Jenny auf dem Bahnsteig. Ihr blondes Haar leuchtete in der Sonne und war in der Menge der Ankommenden gut zu erkennen. Sie winkte fröhlich und kam durch den Menschenstrom auf Irene zu. Irene umarmte ihre
Tochter und sah sich gleichzeitig vorsichtig um. Alle Fahrgäste, die ausstiegen, sahen genauso zielbewusst und gestresst aus wie Bahnreisende immer. Niemand fiel ihr besonders auf. Entweder funktionierte ihr Polizisteninstinkt an diesem Tag nicht, oder Mr. Groomer war nicht in dem Zug. Irene beschloss, bis zur Heimreise nicht weiter an ihn zu denken.
Jenny hatte sich Donnerstag und Freitag frei genommen. Irene hatte sich bereit erklärt, ihr beim Putzen ihres Studentenheimzimmers zu helfen und anschließend mit ihr zusammen die neue Wohnung zu besichtigen. Sie wollten außerdem noch an Jennys Schule essen, dort wurde an einigen Tagen auch Au ßenstehenden Mittagessen serviert.
Es war ein sonniger Tag, über den Öresund wehte eine laue Brise, das Laub der Bäume war erst leicht vergilbt, und die Rosen blühten immer noch in den Beeten vor dem Bahnhof. Irene hatte das Gefühl, dass der Herbst in Göteborg schon einige Wochen weiter war. Doch südlich des Hallandsåsen dauerte das Gefühl von Spätsommer an. Irene zog die Jacke aus, als sie zur Bushaltestelle spazierten. Die dünne Baumwolljacke, die sie darunter trug, reichte bei dem milden Wetter vollkommen aus.
Zügig brachten sie das Zimmer im Studentenheim auf Vordermann und packten Jennys Habseligkeiten in zwei Reisetaschen und ein paar Papiertüten. Irene bestellte ein Taxi. Diesen Luxus konnten sie sich ihrer Meinung nach wirklich gönnen.
»Limhamn. Järnvägsgatan«, sagte Jenny zum Fahrer, als sie Platz genommen hatten.
Sie suchte in ihrer Brieftasche und fand schließlich den Zettel, auf dem sie die genaue Adresse ihrer neuen Wohnung notiert hatte. Nachdem sie dem Fahrer auch noch die Hausnummer genannt hatte, lehnte sie sich zurück und atmete tief durch.
Das Taxi hielt vor einem großen weißen Haus im Stil des Funktionalismus. Es stand in einem großen Garten mit leicht verwilderten Büschen und Obstbäumen. Irene fiel auf, dass die
Gemüsebeete im Gegensatz dazu geradezu pedantisch gepflegt wirkten. Sie zahlte und stieg aus.
Sie durchquerten das offene Gartentor und gingen auf das Haus zu. Jenny nahm einen Schlüssel aus ihrer Umhängetasche und schloss auf.
»Man kann die Tür auch von oben aufdrücken«, sagte sie und deutete stolz auf ihre Klingel, die oberste, neben der noch kein Name stand. Bald würde dort »J. Huss« zu lesen sein.
Als sie eintraten, wurde eine der beiden Türen im Erdgeschoss geöffnet. In der offenen Tür erschien ein kleiner Mann mit einem riesigen Bauch. Sein kahler Schädel schien direkt auf seinem Rumpf zu sitzen. Um seine Kahlköpfigkeit auszugleichen, hatte er sich einen prächtigen graumelierten Schnurrbart wachsen
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