Das Brandhaus - Roman
sich nach dem Unfall letzte Nacht in etwas schlechter Verfassung. Der Oberschenkelhals ist gebrochen, auf der Seite, die bislang nicht operiert wurde. Ihr linker Unterarm auch. Der muss ebenfalls operiert werden. Beim Sturz hat sie außerdem eine Gehirnerschütterung erlitten. Eventuell ist sie mit dem Kopf gegen die Kloschüssel gefallen. Wahrscheinlich hat sie eine Jochbeinfraktur. Wir werden morgen noch das Gesicht röntgen.«
»Kann ich heute Abend noch einmal bei ihr vorbeischauen?«
»Auf der Kardiologischen Intensiv nehmen sie es mit den Besuchszeiten sehr genau. Wahrscheinlich ist es besser, wenn Sie vorher dort anrufen«, riet der Pfleger Per.
Er gab ihr eine Nummer durch. Irene spürte, wie ihr eigenes Herz in der Brust hämmerte, als sie das Gespräch beendete. Sofort rief sie Krister an und informierte ihn, dass sich Gerds Zustand verschlechtert habe. Er versprach, in den Stunden, in denen Irene mit Plan B beschäftigt war, für das Krankenhaus erreichbar zu sein.
Sie schlenderte in der Nordstan herum und zwang sich dazu, an etwas anderes zu denken als daran, wie schlecht es ihrer Mutter ging. Bei Åhléns kaufte sie sich eine neue Wimperntusche, eine getönte Tagescreme und eine duftende Bodylotion zum Sonderpreis. Die Verkäuferin wirkte etwas erstaunt, als Irene sie um zwei große Tüten bat. Mit missbilligender Miene kam sie dem Wunsch jedoch nach und murmelte dabei etwas von mangelndem Umweltbewusstsein. Um ihr Shopping-Image noch etwas aufzubessern, ging Irene danach noch zu Lindex und kaufte Unterwäsche und Strümpfe. Natürlich bat sie wieder um zwei Tüten. Fünf Tüten mussten reichen.
Aus dem Laden kommend schlenderte Irene auf die Unterführung zu, die von dem Einkaufszentrum zum Hauptbahnhof verlief. Wenn sie sich Zeit ließ, dann traf sie pünktlich zu Beginn von Plan B ein. Eine Unmenge Leute waren unterwegs, um vor dem Wochenende einzukaufen. Sie ließ sich im Menschenstrom treiben. Die Gesichter, die ihr begegneten, stammten
aus allen Erdteilen. Man braucht wirklich nicht nach New York oder in irgendeine andere Weltstadt zu fahren, um das Gefühl zu haben, sich in einem ethnischen Schmelztiegel zu befinden, dachte sie, es reicht, an einem Freitagnachmittag in die Nordstan zu gehen.
Tommy saß an einem der kleinen runden Tische mit runder Platte aus weißem Kunstmarmor vor dem Café Expresso. Vor ihm standen ein Cappuccino und ein Bagel. Das Polohemd, das er sonst immer trug, hatte er durch ein blendend weißes Oberhemd und einen Schlips ersetzt. Dazu trug er ein Jackett. Er hatte sich seine eigene Lesebrille aufgesetzt und schien tief in die Tageszeitung Dagens Industri vertieft zu sein. Mit einfachen Mitteln hatte ihn Åsa in einen Geschäftsmann verwandelt. Irene ging auf seinen Tisch zu und stellte alle ihre Einkaufstüten unter den Tisch. Dann küsste sie ihn leicht auf die Wange und sagte:
»Hallo Liebling. Hab doch bitte ein Auge auf die Tüten.« Das Café war voller Leute, und vor der Kasse wartete eine lange Schlange. Eine muntere junge Frau nahm die Bestellungen entgegen, eine zweite führte sie aus und eine dritte kassierte. Es ging relativ schnell. Diskret sah Irene sich um. Sie entdeckte Fredrik, der am anderen Eingang saß. Hannu stand nur wenige Meter von ihr entfernt an der Theke. Er hatte einen Caffe latte vor sich stehen und sprach leise auf Finnisch in sein verstecktes Headset. Nur die Polizisten im Café wussten, dass niemand am anderen Ende der Leitung war. Für den Fall, dass ihn Jens oder jemand von den anderen anrief, hatte er sein Handy auf Vibration geschaltet. Dann konnte er mit einem einfachen Knopfdruck sofort antworten.
Soweit Irene sehen konnte, war ihm abgesehen von einem schwarzen Rollköfferchen jedes Styling erspart geblieben.
Plötzlich entdeckte sie, dass auf dem Köfferchen ein Sticker klebte: »Nokia business, Suomi.« So einfach, aber doch ungeheuer effektiv! Kein Zweifel, Hannu war ein kaffeetrinkender Finne zu Besuch in Göteborg. Es würde niemandem einfallen, ihn für einen Polizisten zu halten.
Jonny hatte sich einen grün-schwarz gestreiften Fußballfanschal umgebunden. Wie durch ein Wunder vertrieb dies seine gesamte Bullenausstrahlung. Er stand an der Schmalseite der Theke und trank einen normalen Kaffee. Neben seiner Tasse lag eine zusammengefaltete Göteborgs Tidning . Er starrte müde ins Leere. Wer ihn sah, würde ihn für jemanden mit einer stinknormalen Arbeit halten, der auf dem Weg zu seinem wohlverdienten Feierabend
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