Das Brandhaus - Roman
dachte Irene und ließ sich auf den Stuhl sinken.
»Schau dich mal im Spiegel an. Du hast nur ganz wenig Wimperntusche aufgetragen und das Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Das geht so nicht!«
Routiniert begann Åsa Grundierung aufzutragen. Darauf tupfte sie etwas Creme. Anschließend folgten Tönungscreme und etwas Rouge auf den Wangenknochen. Auf alles stäubte sie zum Schluss Puder. Irene musste niesen. Ihr Gesicht kam ihr steif und seltsam vor.
»Gesundheit! Ein Glück, dass ich noch nicht bei den Augen war!«, sagte Åsa.
Mit ruhiger Hand zog sie einen Strich mit dem Eyeliner. Anschließend besserte sie die Wimperntusche nach. Schließlich kramte sie eine Tube knallroten Lipgloss hervor.
»Hier! Nimm den. Vergiss nicht, ihn gelegentlich nachzubessern. Eine Kaufrausch-Gattin geht nur mit perfektem Make-up auf die Straße.«
»Aber ich habe meinen eigenen Lippenstift...«
»Ja. Und der ist beigerosa. Wahnsinnig unauffällig und wunderbar bei der Arbeit, aber ohne jeden Glamourfaktor«, entschied Åsa gnadenlos.
Sie hatte recht. Im Spiegel erblickte Irene ein richtig hübsches Gesicht. Etwas Zeit und eine geschickte Hand konnten offenbar Wunder vollbringen.
»Leider musst du in Zukunft eine halbe Stunde früher zur Arbeit kommen, Åsa«, sagte Irene ernst.
»Ach? Und warum das?«
»Du musst mir so ein Gesicht verpassen, ehe ich mit der Arbeit anfange. Nach dieser Sache hier kann ich mich doch nie mehr mit meiner richtigen Visage zeigen.«
Sie lachten und begannen dann Åsas Tüten durchzusehen. Schließlich stieß Åsa auf eine breite, knallrote Schärpe, die sie Irene um die Taille band. Sie passte zu einer ebenfalls knallroten Handtasche.
»Mit den Schuhen können wir leider nichts unternehmen. Ich habe keine Damenschuhe in Größe 41«, sagte Åsa.
»Die Schuhe sind egal. Kümmer dich lieber um die Haare.«
Irene fand es richtig aufregend, sich in eine Frau zu verwandeln, die die Zeit hatte, hemmungslos zu shoppen. Åsa kämmte ihr Haar und flocht es dann sehr hoch angesetzt. Unten lief die Frisur in einem neckischen Zöpfchen aus.
»Schick! Jetzt fehlt nur noch eins«, sagte Åsa, nachdem sie ihr Werk aus allen Richtungen betrachtet hatte.
»Und was?«, fragte Irene nervös.
»Deine Jacke.«
Irene verstand, was sie meinte. Ihre alte Seglerjacke war warm und praktisch, aber sehr abgetragen. Sie war schon lange zur Hundespaziergangsjacke degradiert worden, aber jetzt hatte sie keinen Hund mehr und zog sie deswegen nur noch bei schlechtem Wetter an. Sie hatte sie am Morgen schnell übergeworfen,
als sie bei strömendem Regen zum Krankenhaus gefahren war.
»Ich gehe in die Stadt und kaufe eine neue. Das hatte ich ohnehin schon lange vor«, meinte Irene.
Während Åsa sich um ihre Kollegen kümmerte, fuhr Irene in das Einkaufszentrum Nordstan, um in den Boutiquen nach einer neuen Jacke zu suchen. Schließlich fand sie einen blauen, halblangen Mantel, der wahnsinnig schick war. Das eingeknöpfte Futter war aus einem dünnen Wollstoff. Der Stoff war wasserabweisend. Ein perfektes Kleidungsstück für das verregnete Göteborg, dachte Irene zufrieden. Das Beste an dem Mantel war, dass er wie alle modernen Kleidungsstücke sehr weit geschnitten war. Ihr Pistolenholster unter der Achsel war so nicht zu sehen. Irene hoffte, dass die Umkleidekabine nicht mit einer Kamera überwacht wurde. Eine Frau, die in Achselholster Kleider anprobierte, würde einige Fragen zu beantworten haben.
Sie zog den neuen Mantel an und bat die Verkäuferin, die alte Jacke in eine große Tüte zu legen. Sie war bunt und glänzte und strahlte absolute Shoppingfreude aus.
Es war jetzt zehn nach fünf. Noch einmal zum Präsidium zurückzugehen hatte keinen Sinn. Sie konnte sich die Zeit genauso gut im Einkaufszentrum vertreiben. Sie betrat ein Schuhgeschäft. In einer ruhigen Ecke setzte sie sich auf einen Hocker und wählte die Nummer des Sahlgrenska Krankenhauses.
»Wir haben versucht, Sie zu erreichen. Leider geht es Ihrer Mutter im Augenblick nicht so gut«, teilte ihr ein Pfleger namens Per mit.
»Was ist passiert?«
»Sie hat über Brustschmerzen geklagt. Das EKG zeigt eine Arrhythmie. Das Herz schlägt also unregelmäßig. Wir sind gerade dabei, sie auf die Kardiologische Intensivstation zu verlegen. Die Ärzte müssen sich ein umfassendes Bild verschaffen.«
»Mein Gott. Kardiologische Intensivstation!«, rief Irene und klammerte sich an ihr Handy.
»Das ist nur sicherheitshalber. Sie befindet
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