Das brennende Gewand
seiner Seite... Kinder... Aber hat er mich noch nicht einmal angesehen.«
»Er ist ein Lump, ein eigensüchtig, verbohrter Tropf, ein rückgratloser...«
»Ist er nicht!«, fuhr Almut auf. »Er ist ein ehrenwerter Mann, aber er hat einen sturen Kopf.« Sie schniefte. »Das ist viel schlimmer.«
»Ja, da hast du recht. Also müssten seine Freunde ihn zuerst vor sich selbst retten, will mir scheinen.«
Mit geröteten Augen sah Almut ihre Stiefmutter an. Frau Barbara mochte man oberflächlich und eitel nennen, sie war nicht gelehrt oder besonders geistreich, aber sie war weltklug und pragmatisch. Und ihr Urteil traf das brennende Problem im Kern.
»Wie recht Ihr habt, Frau Barbara. Wir müssen ihn an erster Stelle vor sich selbst retten. Alles andere wird sich finden. Das Allererste, was verhindert werden muss, ist, dass er noch ein Gelübde ablegt.«
»Hat der Abt darauf Einfluss?«
»Wie ich Theodoricus einschätze, ja. Aber ich werde mit ihm noch einmal darüber sprechen. Das Zweite ist, dass er nicht zu lange in dieser Incluse bleiben darf. Sie haben beschlossen, einen Raum für ihn an der Außenwand der Klosterkirche einzurichten. Er wird Platz für eine einfache Bank und einen kleinen Altar haben. Aber viel bewegen kann er sich nicht darin. Außerdem wird er täglich zweimal Brot und Wasser bekommen. Aber ich bezweifle, dass er es zu sich nimmt.«
»Ein Mensch kann viele Tage ohne Nahrung auskommen. Er wird nicht sofort verhungern.«
»Er wird aus purer Willensanstrengung nach wenigen Tagen sterben«, knurrte Almut.
»Dann darf er nicht unbeaufsichtigt in dieser Klause leben.«
»Es kann doch niemand zu ihm. Er verlangt, dass nur eine kleine Öffnung bleibt, durch die man ihm die Nahrung reichen wird.«
Frau Barbara schüttelte sich. Sie hatte eine lebhafte Vorstellung von dem engen Raum und den daraus resultierenden menschlichen Problemen.
»Ich frage mich, ob unser Herrgott tatsächlich eine solche Tortur wohlgefällig betrachtet«, meinte sie schließlich.
»Tut er nicht. Deshalb ist Selbstmord ja auch eine Sünde.«
»Dann darf er eben einfach nicht in dieser Klause bleiben.«
Almut zuckte mit den Schultern. Sie bewunderte die gradlinige Argumentation ihrer Stiefmutter - Ivo vom Spiegel war aus Gründen, die sie noch nicht ganz erforscht hatte, nicht mehr Herr seiner selbst und hatte einen Weg eingeschlagen, der zur Selbstvernichtung führte. Man musste sich über seinen Willen hinwegsetzten. So einfach war das. Über einen Willen, der härter war als Granit. Was das Wörtchen »einfach« leider ausschloss.
»Ja, Frau Barbara«, seufzte Almut. »Er darf nicht in der Klause bleiben. Aber wie sollte man ihn da herausbekommen?«
Zum ersten Mal an diesem Nachmittag sah sie ihre Stiefmutter lächeln.
»Bist du nicht eines Baumeisters Tochter? Wer mauert die Klause?«
Ganz plötzlich huschte auch ein verwundertes Lächeln über Almuts Gesicht.
»Ihr seid genauso klug wie der weise Salomo, denn der lehrt: ›Die Weisheit der Frauen baut ihr Haus, aber ihre Torheit reißt’s nieder mit eigenen Händen.‹ Ich habe einen weiteren, sehr wichtigen Punkt mit dem Abt zu klären. Und mit meinem Vater.«
»Deinen Vater, Almut, wollen wir nicht mit solchen Kleinigkeiten belasten. Er hat wichtige Arbeiten an der Stadtmauer zu erledigen. Aber ich denke, ich kann ihm verständlich machen, dass ich den alten Geert in den nächsten Tagen für ein paar dringende Ausbesserungen im Hof brauche. Dann können er und ein junger Geselle eben mal zu Groß Sankt Martin hinübergehen und den kleinen Anbau richten.«
»Ein junger Geselle?«
»Du wirst besser die Hosen, Stiefel und den Kittel anziehen, die ich dir gebe. Deine Haare wirst du unter einer Kappe verstecken müssen. Den alten Geert wirst du damit zwar nicht täuschen, aber alle anderen schon. Kaum einer erwartet eine Frau, die das Maurerhandwerk versteht.«
»Sie versteht’s ja auch nicht recht, ich fürchte, der Mörtel wird nicht sehr gut halten.«
Sehr zufrieden mit dieser Planung lehnte sich Almut an das Polster in ihrem Rücken und schloss die Augen. Dem alten Geert konnte sie vertrauen, er hatte sie schon auf Knien gewiegt, hatte mit ihr, als sie ein kleines Mädchen gewesen war, aus Wasser und Sand Burgen gebaut, hatte ihr später kleine Ziegel gegeben und sie gelehrt, eine gerade Wand zu mauern. Er hatte sie in die Kunst des Mörtelmischens und des Gipsmachens eingewiesen und ihr sogar gezeigt, wie man Rundbogen mauert.
Frau Barbara betrachtete
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