Das brennende Gewand
Nachdem er eine recht lange Weile schweigend Vor- und Nachteile gegeneinander abgewogen hatte, stimmte er ihrem Vorschlag in Gänze zu. Über die weitere Vorgehensweise wollten sie sich beide später Gedanken machen, wobei Theodoricus Almut vorsichtig darauf hingewiesen hatte, dass sie möglicherweise Köln, zumindest für eine Weile, würde verlassen müssen. Sie war dazu bereit, solange sie nur mit Ivo vom Spiegel zusammen sein konnte. Über die Schwierigkeiten, wie sie ihn dazu überreden konnte, wollte sie im Augenblick noch nicht nachdenken. Wo ein Wille, da war auch ein Weg. Und der ihre konnte sich mit dem seinen durchaus messen. Das hatte sie in den vergangenen Monaten in vielen kleinen Gefechten erkannt.
Die Edle von Bilk hatte ihre Lesung beendet, und die Beginen fingen an, sich leise zu unterhalten. Die zwei Mägde trugen die Reste des Essens ab, Ursula begann ein Lied zu singen und Clara, die sich etwas erholt hatte, ergriff den Psalter, um darin zu blättern.
»Ihr seht besser aus als in den vergangenen Tagen«, stellte die Edelfrau fest, die sich neben Almut gesetzt hatte. »Hat Euch der Besuch bei Euren Eltern aufgemuntert?«
»Wie immer, edle Frau, denn meine Stiefmutter ist eine verständige Person.«
»Und sie hat Euch von der Bedrückung befreien können, die auf Euch lastete? Das ist gut. Sie ist Euch eine wahre Mutter, will mir scheinen. Ihr verlort eure leibliche schon früh?«
»Im Pestjahr, gleich nach meiner Geburt. Ich habe sie nie wirklich gekannt.«
Die Edle von Bilk schien das Gespräch gerne vertiefen zu wollen, aber Almut fühlte sich erschöpft von dem ereignisreichen Tag und bat die Meisterin, sich zurückziehen zu dürfen. Gnädig wurde sie entlassen.
Durch das Fenster, das sich nach Westen öffnete, fiel der Schein der tief stehenden Sonne, als sie ihre Kammer betrat. Das Viereck aus Licht war über das Bett gewandert und beleuchtete jetzt die Mitte der Decke. Almut stutzte zunächst, dann trat sie näher. Mit blankem Entsetzen erkannte sie, was dort auf einem blutigen Tuch lag. Ihr Magen rebellierte, es würgte sie, und sie rannte die Stiegen hinunter. Gerade bis zum Kräutergarten schaffte sie es noch, dann musste sie sich erbarmungswürdig erbrechen.
Säure ätzte ihre Kehle, und bittere Galle füllte ihren Mund. Sie kniete inmitten junger Petersilie und wiegte sich hin und her.
Dreimal hatte sie in ihrem Leben die traurigen, winzigen Körper gesehen. Warum? Warum tat man ihr das an? Warum musste man sie daran erinnern? An ihre Schmach, an ihre Unfähigkeit.
Tränen rannen ihr über die Wangen, und wieder würgte es sie.
»Frau Almut, Frau Almut. Heilige Jungfrau Maria, was ist Euch? War das Essen schlecht? Seid Ihr krank?«
Die Edle von Bilk kniete sich neben Almut und umschlang ihre Schultern. »Was kann ich tun? Wie kann ich Euch helfen?«
Mühsam rang Almut um Fassung. War es Wirklichkeit, was sie in ihrem Zimmer gefunden hatte? Oder ein Trugbild, so wie auch das tote Kätzchen? Um diese Frage zu beantworten, musste sie jedoch in ihre Kammer zurückgehen.
Aber nicht alleine.
Sie brauchte eine Zeugin.
Die Edelfrau hatte einen Eimer Wasser aus dem Brunnen gehaspelt und stellte ihn neben sie.
»Taucht Euer Gesicht hinein und kühlt euch. Spült Euch auch den Mund aus, Frau Almut. Ach, es ist schrecklich, wenn der Magen sich im Leib umdreht.«
Almut schöpfte dankbar mit den Händen das kalte Nass und tauchte ihr Gesicht hinein. Kurz erwog sie, die Edelfrau zu bitten, mit ihr nach oben zu gehen, aber dann besann sie sich eines anderen. Nur Gertrud wusste von dem Kätzchen, ihr würde sie nicht viel erklären müssen. Mühsam erhob sie sich und lehnte sich mit schwankenden Beinen an ihre Helferin.
»Ich begleite Euch nach oben, Frau Almut«, bot sie an.
»Nein, danke!« Ihre Stimme war heiser, und die Kehle tat ihr weh. »Ich will mit der Köchin sprechen.«
»Ei, ei? Ihr glaubt doch nicht...«
»Nein, ich glaube nicht. Trotzdem. Danke, edle Frau, für Euren Beistand.«
Almut machte sich sacht los und ging langsam zum Küchenhaus. Gertrud räumte Reste in die Speisekammer und sah sie überrascht an.
»Du bist ja regelrecht grün im Gesicht. Ist dir irgendwas nicht bekommen?«
»Es ist wieder passiert, Gertrud. In meinem Zimmer. Ich glaube, ich werde verrückt.«
»Na, na, na!«
Die Köchin legte einen Deckel auf eine Schüssel mit Fleischstücken in würziger Rosmarinsauce, schickte Teufelchen einen mahnenden Blick und begleitete die Begine zu
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