Das brennende Land
nicht alle zugleich», befahl sie über das Stimmengewirr hinweg. «Herr Ælfwold», sie lächelte einem finster aussehenden Mann zu, der auf der ersten Bank saß, «Eure Ländereien haben am meisten gelitten, so scheint es. Wie stark ist Eurer Meinung nach der Feind?»
«Zwischen zweitausend und dreitausend Mann», antwortete er. Dann zuckte er mit den Schultern. «Es könnten auch viel mehr sein, das ist schwer zu sagen.» «Weil sie in kleinen Verbänden reiten?»
«Es sind mindestens ein Dutzend Gruppen», sagte Ælfwold, «möglicherweise auch zwanzig.»
«Und wie viele Männer können wir gegen sie aufbieten?» «Fünfzehnhundert», sagte er mürrisch.
«Wir müssen doch mehr als fünfzehnhundert Krieger haben!», sagte Æthelflæd.
«Dein Vater», sagte Æthelred, und er konnte nicht widerstehen, diese beiden Worte in spöttischem Ton auszusprechen, «besteht darauf, dass wir fünfhundert zur Bewachung Lundenes zurückhalten.»
«Ich dachte, die Garnison von Lundene sei westsächsisch», warf ich ein. Ich musste es wissen, denn ich hatte fünf Jahre lang den Befehl über ebendiese Garnison geführt.
«Alfred hat dreihundert Mann in Lundene gelassen», sagte Bischof Asser mit erzwungener Höflichkeit, «und die übrigen sind nach Wintanceaster gegangen.» «Weshalb?»
«Weil uns Haesten eine Warnung geschickt hat», sagte der Bischof gehässig. Er hielt inne, und sein Frettchengesicht zuckte unbeherrscht. «Eine Warnung, dass Ihr und die Jarls des Nordens einen Angriff auf Wessex plant.» Hass bebte in seiner Stimme, als er hervorstieß: «Ist das wahr?»
Ich zögerte. Ich hatte Ragnars Pläne nicht verraten, weil er mein Freund war. Das bedeutete, dass ich die Aufdeckung des northumbrischen Angriffsplans dem Schicksal überlassen hatte. Doch Haesten, so schien es, hatte schon eine Warnung ausgesprochen. Es lag auf der Hand, dass er es getan hatte, um die westsächsischen Einheiten von Mercien fernzuhalten, und offenkundig hatte er mit seiner Warnung Erfolg gehabt.
«Nun?» Æthelred, der mein Unbehagen wahrnahm, verstärkte den Druck auf mich.
«Die northumbrischen Jarls haben über die Möglichkeit eines Angriffs auf Wessex gesprochen», sagte ich schwach.
«Und? Wird er kommen?», wollte Asser wissen. «Wahrscheinlich.»
«Wahrscheinlich», wiederholte Asser höhnisch. «Und welche Rolle spielt Ihr dabei, Herr Uhtred?» Die Verachtung, mit der er meinen Namen aussprach, war so scharf wie die Klinge Schlangenhauchs. «Um uns zu täuschen? Uns zu verraten? Noch mehr Christen abzuschlachten?» Er erhob sich wieder von seinem Stuhl, denn er spürte, dass er im Vorteil war. «Im Namen Christi», rief er, «ich verlange, dass dieser Mann gefangen genommen wird!»
Niemand bewegte sich. Æthelred machte eine Handbewegung in Richtung der beiden Krieger aus seiner Hausmacht, doch sie war so lasch, dass sich keiner der beiden Männer rührte.
Æthelflæd brach das Schweigen. «Der Herr Uhtred ist hier, um mich zu beschützen.»
«Ihr habt die Krieger eines ganzen Landes zu Eurem Schutz», sagte Asser und schloss mit einer weit ausholenden Armbewegung die Männer auf den Bänken ein.
«Was brauche ich die Krieger eines ganzen Landes, wenn ich Herrn Uhtred habe?»
«Dem Herrn Uhtred», kam es scharf von Asser, «kann man nicht trauen.» «Ihr habt dieses Stück walisischen Dreck gehört», sagte ich zu den Männern auf den Bänken. «Darf ein Waliser sagen, dass man einem Sachsen nicht trauen kann? Wie viele hier haben Freunde, Söhne oder Brüder durch die walisische Falschheit verloren? Wenn die Dänen die schlimmsten Feinde der Mercier sind, dann kommen die Waliser gleich an nächster Stelle. Sollen wir uns wirklich von einem Waliser eine Lektion in Treue und Zuverlässigkeit erteilen lassen?»
Hinter mir hörte ich Pater Pyrlig etwas murmeln, allerdings auf Walisisch. Ich vermute, dass er mich verfluchte, aber er wusste genau, warum ich so gesprochen hatte: Ich beschwor das tiefverwurzelte Misstrauen, das alle Mercier den Walisern gegenüber empfinden. Seit den Anfängen Merciens in den längst untergegangenen Tagen unserer Vorfahren hatten die Waliser Raubzüge in sächsisches Gebiet unternommen, um Vieh, Frauen und Reichtümer zu stehlen. Sie nannten unser Land ihr «verlorenes Land», und in jedem walisischen Herzen lebt die Sehnsucht, die Sachsen wieder übers Meer zurückzutreiben. Deshalb konnte keiner der Männer in Æthelreds Palas auch nur die mindeste Zuneigung für diese Erbfeinde
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