Das brennende Land
Finan leise zu mir, um mir anzudeuten, dass ich Skade nicht vertrauen konnte.
«Wir sterben alle», sagte Skade, «und diese Stäbe sprechen nicht von mir.»
«Was sagen sie?», fragte ich.
Sie starrte auf das Muster, das die Stäbe bildeten. «Ich sehe eine Festung», sagte sie schließlich, «und ich sehe Wasser. Graues Wasser.» «Grau?»
«Grau, Herr.» Sie hatte mich zum ersten Mal genannt. «Grau wie die Frostriesen», fügte sie hinzu, und ich wusste, dass sie die Eiswelt des Nordens meinte, in der die Frostriesen umherstreifen.
«Und die Festung?», fragte ich.
«Sie brennt, Herr. Sie brennt, und sie brennt, und sie brennt. Der Sand am Strand ist schwarz von ihrer Asche.»
Ich bedeutete ihr, die Runenstäbe wegzuräumen, und ging auf die Terrasse. Es war noch tiefe Nacht, und am Himmel ballten sich dunkle Wolken, aus denen ein unangenehmer Sprühregen herabfiel. Ich hörte dem Fluss zu, der rauschend um die Pfeiler der alten Brücke strudelte, und ich dachte an Stiorra, meine Tochter.
«Grau?», fragte Finan, der sich neben mich gestellt hatte. «Es bedeutet Norden», sagte ich, «und Bebbanburg liegt im Norden, und ein Wind aus Süden würde seine Asche auf den Strand von Lindisfarena tragen.» «Norden», sagte Finan ruhig.
«Erklär den Männern, dass sie die Wahl haben», sagte ich. «Sie können bleiben und Alfred dienen, oder sie können mit mir kommen. Du hast ebenfalls die Wahl.»
«Du weißt, was ich tun werde.»
«Und ich Will den
Seolferwulf
bei Sonnenaufgang bereit zum Auslaufen haben.»
Dreiundvierzig Männer kamen mit mir, die übrigen blieben in Lundene.
Dreiundvierzig Krieger, sechsundzwanzig Frauen, fünf Huren, ein Trupp Kinder und sechzehn Hunde. Ich wollte auch meine Pferde mitnehmen, ganz besonders Smoka, doch der
Seolferwulf
war nicht mit den Holzgerüsten ausgestattet, die für einen sicheren Stand der Pferde während der Seereise sorgen, und so blieb mir nichts anderes, als ihm über die Nase zu streichen und mich von ihm zu verabschieden. Skade kam ebenfalls an Bord, denn in Lundene zu bleiben, hätte ihren sicheren Tod bedeutet. Ich hatte meine Kettenrüstungen und Waffen und Helme und Schilde und den Kasten mit meinem Vermögen in dem kleinen Hohlraum unter der Steuerplattform untergebracht, und ich sah, wie sie ihr eigenes schmales Kleiderbündel dazulegte.
Wir hatten keine vollständige Mannschaft, aber es saßen genügend Männer an den Ruderbänken. Die Dämmerung brach bereits an, als ich befahl, den Wolfskopf auf den Bug zu setzen. Ich bewahrte dieses Schnitzwerk mit dem aufgerissenen Maul unter der Bugplattform auf und zeigte es nur, wenn wir außerhalb unserer heimatlichen Gewässer unterwegs waren. Man fordert das Unglück heraus, wenn man die heimatlichen Geister mit einem wilden Drachen oder einem zähnefletschenden Wolf oder einem Raben bedroht. Doch ich hatte nun keine Heimat mehr, und deshalb ließ ich den Wolf die Geister von Lundene herausfordern. Alfred hatte Männer geschickt, die mein Haus bewachen sollten, und obwohl uns diese Krieger am Kai neben dem Haus sahen, hinderte uns keiner von ihnen daran, die Leinen zu lösen und den
Seolferwulf
in
die starke Strömung der Temes zu lenken. Ich drehte mich um und blickte auf die Stadt unter ihrer Dunstglocke. «Heben!», rief Finan, und zwanzig Ruderblätter wurden über die schmutzigen Wasser des Flusses erhoben.
«Und durchziehen!», befahl Finan, und das Schiff glitt in Richtung der Morgendämmerung davon.
Ich hatte keinen Herrn. Ich war ausgestoßen. Ich war frei. Ich würde auf Wikingerfahrt gehen.
Es liegt ein besonderes Glück in der Seefahrt. Ich stand noch unter dem Bann von Giselas Tod, doch auf dem Wasser zu sein, brachte mir ein Gefühl neuer Hoffnung. Nicht viel, aber ein wenig. Ein Schiff durch die grauen Wogen zu lenken, den Wolfskopf dabei zu betrachten, wie er in die Wellentäler taucht und in weiß brodelnder Gischt wieder auftaucht, den peitschenden kalten Wind zu spüren, das Segel aufgebläht zu sehen wie den Bauch einer Schwangeren, das Meer am Schiffskörper entlangzischen zu hören und das Zittern des Steuerruders wie den Herzschlag des Schiffes in der Hand zu fühlen, all das ist Glück.
Fünf Jahre lang war ich nicht mit dem Schiff aus dem Mündungsgebiet der Temes hinausgefahren, doch nachdem wir einmal die trügerischen Untiefen an der Spitze von Fughelness hinter uns hatten, konnten wir uns nach Osten wenden, und ich hatte das Segel setzen, die langen
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