Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition)
Mitbestimmung zugestanden worden war. Angesichts dieser Entwicklung und unter dem Eindruck nun wieder wachsender Geschlossenheit und verstärkter Aktivitäten der indischen Nationalbewegung war es nur konsequent, wenn mit der Government of India Act des Jahres 1919 eine neue Verfassung für Britisch-Indien erlassen wurde.
Diesen Schritt hatte Edwin Montague, Staatssekretär für Indien und prominenter Kritiker des Indian Civil Service, bereits 1917 mit der Erklärung angekündigt, «die schrittweise Einführung politischer Selbstbestimmung in Indien als einem integralen Bestandteil des Britischen Empire»[ 7 ] sei das dezidierte Ziel der Regierung. Anschließend hatte Montague eine mehrmonatige Reise nach Indien unternommen und danach gemeinsam mit dem dortigen Vizekönig Lord Chelmsford 1918 den Montague-Chelmsford Report vorgelegt, der im Stil des Durham Reports eine Analyse der bestehenden Zustände mit entsprechenden Reformvorschlägen kombinierte und zusammen mit den Studien weiterer Expertengruppen die theoretische Basis für das neue Indien-Gesetz lieferte.
Der Bericht unterschied drei Ebenen der Verwaltung; neben der Zentrale die lokale und provinziale Administration, wobei nur für den Bereich der Lokalverwaltung weitgehende Selbstbestimmung vorgeschlagen wurde, während auf höchster Ebene – im Rat des Vizekönigs – trotz der Verstärkung des repräsentativen Elements die politische Verantwortung weiterhin beim britischen Parlament verbleiben solle. Dem lag die für die gesamte Indienpolitik der Zwischenkriegsära leitende Idee zugrunde, bestimmte Verwaltungsaufgaben an gewählte indische Gremien zu übertragen, um so die Grundlagen für eine britisch-indische Kooperation zu liefern, ohne damit etwa den Weg für ein unabhängiges Indien zu beschreiten. Nicht das Ende britischer Herrschaft sollte eingeleitet, sondern diese durch neue Organisationsformen auf ein weiterhin tragfähiges Fundament gegründet werden.
Zu diesem Ziel sah das Gesetz von 1919 die Vereinheitlichung Britisch-Indiens vor, das fortan in acht Provinzen gleicher Struktur gegliedert war, mit jeweils einem dem Vizekönig unterstellten Gouverneur an der Spitze. Zugleich wurde das repräsentative Element der gesetzgebenden Versammlungen dieser Provinzen verstärkt, so daß fortan mindestens 70 Prozent der Mitglieder aus Wahlen hervorgingen und die übrigen wie bislang nominiert wurden, wobei die Zahl derer, die von Amts wegen einen Sitz innehatten, auf 20 % begrenzt wurde. Dabei blieb allerdings der Zuständigkeitsbereich dieser Gremien auf die Kontrolle der Lokalverwaltung, das Gesundheits- und Unterrichtswesen, die Wirtschaft sowie das Feld der öffentlichen Arbeiten beschränkt. Diese sog. ‹übertragenen Bereiche› («transferred subjects») verwaltete jeweils ein vom Provinzialparlament ernannter Minister. Die übrigen, d.h. die zentralen politischen Aufgabenfelder wie Justiz und Polizei, Steuerwesen, das für die indische Landwirtschaft so bedeutsame Bewässerungswesen sowie Notstandsmaßnahmen bei eventuellen Hungersnöten, blieben als «reserved subjects» den Gouverneuren und ihren Exekutivräten und damit den britischen Kolonialherren vorbehalten. Als «Dyarchie» bezeichnete man dieses eigentümliche Zwittergebilde, in dem britische Beamte und gewählte indische Minister gemeinsam die Provinzialregierungen stellten.
Im Bereich der Zentralregierung des Vizekönigs und seines Kabinetts fanden keine weitreichenden Veränderungen statt. Zwar war ihm ein aus zwei Kammern bestehendes Parlament zur Seite gestellt, dessen Mitglieder mehrheitlich aus Wahlen hervorgingen und dessen Sitzbänke nach dem Vorbild des Londoner Unterhauses mit grünem Leder gepolstert waren, doch dessen Kompetenzen blieben äußerst begrenzt; es besaß nicht einmal ein echtes Budgetrecht, und die Regierung war weiterhin allein London gegenüber verantwortlich. Auch blieb das Zensuswahlrecht selbst nach seiner Erweiterung im Jahre 1932 auf 6,8 Mio. Männer und 300.000 Frauen beschränkt, und schließlich war das demokratische Prinzip dadurch durchbrochen, daß den Muslims in den Provinzen, in denen sie in der Minderheit waren, mehr Sitze zukommen sollten, als ihnen anteilmäßig zugestanden hätten. Vor allem aber bestand die Schwäche dieses halbherzigen Reformpakets darin, daß man den Indern einen unvollkommenen Parlamentarismus verordnete, der notwendig dazu führen mußte, daß die Betroffenen fortan die vollständige Demokratie in einem
Weitere Kostenlose Bücher