Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition)
Fundament für das Commonwealth betrachtet wurde, in dem die ehemaligen Kolonien weiterhin mit der Metropole verbunden bleiben sollten. Vielmehr trugen vielerorts die Begleitumstände des Rückzugs der Kolonialmacht dazu bei, daß bald darauf die politische Macht in den Händen einer Partei oder gar eines Mannes konzentriert war. Eine zentrale Rolle spielten in diesem Zusammenhang die seit den späten 40er Jahren in den meisten Kolonien entstandenen nationalen Unabhängigkeitsbewegungen, die mit ihren Parteigründungen alte Stammesdifferenzen und daraus resultierende regionale Vielfalt zu überwinden suchten. Wo dies gelang und wo diese neuen politischen Kräfte sich statt der traditionalen Kollaborateure aus Zeiten der indirect rule den Briten als Verhandlungspartner aufdrängten, war der Weg in den Einparteienstaat bzw. zur notdürftig kaschierten Alleinherrschaft einer nationalen Führungspersönlichkeit vorgezeichnet. Denn diese konnten sich als Träger und Helden des Freiheitskampfes gegen die Kolonialherrschaft und damit als die wahren Repräsentanten einer neuen nationalen Identität präsentieren. Damit war das Spektrum möglicher politischer Alternativen erheblich eingeschränkt. Besonders in den Anfangsjahren der neuen afrikanischen Staaten ließen sich Oppositionsparteien dann leicht als Verräter an der nationalen Sache, als Handlanger eines Neokolonialismus diffamieren. Und wenn tatsächlich Machtwechsel stattfanden, dann als Resultat von Militärputschen und nicht infolge demokratischer Wahlen. Die Karrieren der afrikanischen Politiker der ersten Stunde wie Nkrumah, Nyerere, Kaunda und Banda liefern hierfür eindrucksvolle Beispiele, und mehr als ein Viertel Jahrhundert nach der Unabhängigkeit rechtfertigte in Zimbabwe Robert Mugabe seine Gewaltherrschaft noch mit dem Verweis auf den Freiheitskampf der von ihm geführten ZANU (Zimbabwe African National Union) und findet dafür die Zustimmung mancher Afrikaner.
In welchem Maße solche Entwicklungen als Spätfolgen britischer Kolonialherrschaft bzw. deren Auflösung betrachtet werden können, bleibt schwierig und zumindest strittig. Was die politische Zukunft der ehemaligen Kolonien betraf, so stand für Macmillan und Macleod in erster Linie deren künftiges Verhältnis zu Großbritannien im Vordergrund. Auf dieser Ebene waren unstreitige Anfangserfolge zu verzeichnen, denn sämtliche ehemaligen afrikanischen Besitzungen blieben dem Mutterland durch ihre Mitgliedschaft im Commonwealth verbunden. Hatte es am 1. Januar 1957 noch keinen einzigen schwarzafrikanischen Mitgliedstaat des Commonwealth gegeben, so waren es zehn Jahre später deren zwölf. Allerdings stellte sich schon bald die Frage, ob und inwieweit sich die Struktur und auch der politische Stellenwert des Commonwealth durch diese Neuzugänge verändern würden.
5. VOM BRITISH COMMONWEALTH ZUM «PEOPLE’S COMMONWEALTH»
Mit dem Ende des Dekolonisierungsschubs in Afrika war das britische Kolonialreich nahezu gänzlich von der Weltkarte verschwunden. Innerhalb von zwei Jahrzehnten, zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der ‹Unabhängigkeitserklärung› Rhodesiens 1965 ging die Zahl der in Übersee lebenden britischen Untertanen von 700 Mio. auf 5 Mio. zurück, von denen allein 3 Mio. in Hongkong lebten. Von 1962 an wurden auch die Besitzungen im karibischen Raum in die Unabhängigkeit entlassen. Während die britische Herrschaft in Afrika im Durchschnitt nur sechzig Jahre betragen hatte, handelte es sich in Westindien um die Reste des ersten Empire, um Inseln, die mehr als drei Jahrhunderte der britischen Krone unterstanden hatten. Einst hatten diese Besitzungen als die Kronjuwelen des Überseereichs gegolten, doch mittlerweile waren sie ökonomisch und strategisch ohne jede Bedeutung. Auch hier hatte London die prekäre wirtschaftliche Situation der meisten kleinen Inseln 1958 zunächst durch die Bildung einer Föderation aufzufangen versucht, die allerdings bereits vier Jahre später mit dem Ausscheiden von Jamaika und Trinidad scheiterte. Dann wurden 1966 Barbados, 1974 Grenada, 1978 Dominica, 1979 St. Lucia und St. Vincent, 1981 Antigua und 1983 St. Kitts unabhängig. Auf dem Festland waren British-Guyana und British-Honduras seit 1966 bzw. 1981 selbständige Staaten. Die Bahamas, wie die meisten der Inselkolonien im karibischen Raum seit über 300 Jahren britische Kolonie, erlangten 1973 die Unabhängigkeit.
Ebenso bemerkenswert wie der Rückzug aus den Kolonien war
Weitere Kostenlose Bücher