Das Buch aus Blut und Schatten
Als es in der Leitung klickte und mein Vater sein Telefon abnahm, schwieg sie.
Einen Moment lang schwiegen wir alle.
»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte er.
»Alles in Ordnung.«
»Wo bist du?«, fragte er.
Ich antwortete nicht.
»Wir sind deine Eltern«, sagte meine Mutter. »Egal, was du getan hast, wir verzeihen dir. Wir kommen schon damit klar. Aber du musst nach Hause kommen.«
Ich antwortete nicht.
»Ich kann das nicht«, stöhnte sie. »Nicht noch mal.«
Es klickte noch einmal in der Leitung und dann waren mein Vater und ich allein. Ich lehnte mich an die Wand und presste meine Stirn an den kühlen Stein.
»Te diligo«, sagte mein Vater.
Ich liebe dich . Ich konnte mich gar nicht mehr daran erinnern, wann er das das letzte Mal gesagt hatte. Wenn man etwas in einer Sprache sagte, die nicht die eigene war, war es irgendwie anders. Es fiel einem dann leichter, Dinge zu sagen, die einem sonst schwerfielen. Weil sie einem nicht so real vorkamen. Sie zählten nicht.
Meine Mutter glaubte, dass ich etwas Unverzeihliches getan hatte, das sie mir verzeihen musste.
Ich beendete das Gespräch.
17 In der Dunkelheit.
In seinen Armen.
Das Tropfen des Wasserhahns.
Das Prasseln des Regens.
Sein Geruch, frisch und erdig.
Die Wärme seiner Haut, das Flüstern seines Atems, das Klopfen seines Herzens.
Sein Arm quer über meiner Brust, unsere Finger ineinander verschlungen.
Sein Körper an meinen gepresst.
In seinem Bett.
In seinem Schatten.
Ich schlief.
18 Ich wachte im Dunkeln auf und wusste einen Moment lang nicht, wo ich war und warum. Die roten Ziffern der alten Digitaluhr blinkten vorwurfsvoll: 3:47. Ich war allein im Bett.
Er war eine Silhouette in dem dunklen Zimmer und hatte sich über meinen Rucksack gebeugt. Der Inhalt raschelte, als er ihn durchsuchte.
»Max?«
Er drehte sich um.
»Was machst du da?«
»Nichts«, flüsterte er. »Schlaf weiter.«
Ich setzte mich auf, schaltete das Licht ein und musste blinzeln, weil es so hell war. »Schon okay«, meinte ich. »Ich bin wach. Was ist denn?«
»Ich hatte gehofft, dass du Aspirin dabeihast«, erklärte er. »Ich wollte dich nicht wecken.«
»Schon okay. Aber ich hab keine dabei.«
Er kam wieder ins Bett und machte das Licht aus. Meine Augen hatten sich inzwischen an die Helligkeit gewöhnt und jetzt schien die Nacht pechschwarz zu sein. »Leg dich wieder hin«, flüsterte er. »Schlaf.«
Ich legte mich neben ihn. Dieses Mal kuschelte ich mich an ihn und rieb mit der Hand über seinen Arm und seinen Rücken. Die Zimmer hier waren so billig, dass Eli und Adriane sich jeder ein eigenes genommen hatten, sodass wir beide in Maxâ Zimmer bleiben konnten. Adriane hatte nicht viel gesagt, bevor sie auf ihr Zimmer gegangen war, und sie hatte mich auch nicht angesehen. Aber als ich sie gefragt hatte, ob sie nach Hause wollte, hatte sie den Kopf geschüttelt. »Nicht ohne dich«, hatte sie gesagt, während sie meinem Blick ausgewichen war. »Nicht, bevor das hier zu Ende ist.« Ich hörte: Nicht, bevor wir das zu Ende gebracht haben, was du angefangen hast.
»Kopfweh?«, fragte ich Max. Dann küsste ich ihn auf den Hinterkopf.
»Es spielt keine Rolle«, antwortete er leise.
»Was spielt keine Rolle?«
»Sie waren gut.« Seine Stimme war nur noch ein Flüstern. »Sie haben gewusst, wie man es vermeidet, Knochen zu brechen. Wie man keine bleibenden Schäden hinterlässt, es sei denn, sie wollten es so. Sie wussten genau, was sie tun.«
»Die Hleda Ä i?« Als ich das seltsame Wort laut sagte, im Dunkeln, fühlte es sich gefährlich an, wie ein Zauberspruch.
»Es ist schlimmer, wenn ich versuche zu schlafen«, sagte er. »Aspirin hilft.«
Ich vergrub mein Gesicht an seinem Hals. »Was haben sie mit dir gemacht?«
Er drehte sich weg. »Es spielt keine Rolle. Es ist vorbei.« Er setzt sich auf, dann verlieà er das Bett. »Ich muss hier raus.
»Ich komm mit.«
Er schüttelte den Kopf.
»Es ist vier Uhr morgens.«
»Und deshalb solltest du wieder einschlafen.«
»Und du auch. Was, wenn�« Wir waren gerade von einer Truppe Kuttenträger überfallen worden und offenbar versuchte ein Geheimbund, dessen Mitglieder alle durchgeknallt und ziemlich blutrünstig waren, uns aufzuspüren. Musste ich ihm denn wirklich noch mal haarklein
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