Das Buch aus Blut und Schatten
denn, die Dicke der Staubschicht wäre ein Kriterium gewesen. Aber da ich mich daran erinnerte, was Max mir über den Hoff erzählt hatte â dass der Professor das schwarze Schaf seiner Zunft gewesen sei und das Voynich-Manuskript sämtliche Spinner und Verschwörungstheoretiker dieser Welt anziehe â, ignorierte ich bei meiner Suche alles, was gedruckt und gebunden war und halbwegs seriös aussah. Wer auch immer den Hoff vergiftet hatte, hatte mangels Zeit oder Interesse die zerfledderten Schreibblöcke, die mit Anmerkungen versehenen Kopien und die Stapel loser Seiten, die mit der verkrampften, unleserlichen Handschrift des Professors bedeckt waren und die Arbeit eines ganzen Lebens repräsentierten, einfach zurückgelassen.
Ich war gerade mitten in einem Bericht, der die Methodik der neuesten Radiokarbondatierung für das Voynich-Manuskript anzweifelte, als irgendwo im Hauptschiff eine Tür zugeschlagen wurde. Dielenbretter knarrten. Schritte näherten sich dem engen Tunnel, der zum Büro des Hoff führte. Zu mir.
Ich schaltete das Licht aus.
Ich versteckte mich unter dem Schreibtisch.
Ich bewegte mich nicht.
Die Schritte kamen näher. Ein schmaler Lichtstrahl zuckte über die im Schatten liegenden Regale und schiefen Bücherstapel. Er huschte über die Buntglasfenster, beleuchtete Jesusâ Mund, Marias Hand, Judasâ Silbermünzen und lieà sie dann wieder in der Dunkelheit versinken.
Ich hatte genug Horrorfilme gesehen, um zu wissen, wie das hier ausgehen würde.
Ich hatte genug von Chrisâ Leiche gesehen, um zu wissen, wie das hier ausgehen würde.
Wenn ich nichts unternahm, wenn ich völlig ruhig blieb und mich nicht bewegte, würde er mich vielleicht nicht bemerken. Er würde sich holen, was er wollte, und in die Hölle zurückkehren, aus der er gekommen war. Und vielleicht würde ich ihn dann nie wiedersehen.
Vielleicht würde man ihn nie erwischen.
Mein Handy war in meiner Tasche. Als zwei Beine auf mich zukamen und dann wenige Zentimeter vor meinem Gesicht stehen blieben, zog ich es heraus. Mit einer in zahllosen Unterrichtsstunden, in denen SMS unter dem Tisch schreiben das einzige Mittel gegen Tod durch Langeweile war, perfektionierten Präzision drückte ich einen Finger auf den Lautsprecher und schaltete das Handy auf stumm. Als das Telefon einen leisen Piepston von sich gab, zuckte ich zusammen.
Die Beine bemerkten nichts.
Den Notruf zu wählen, würde mir nichts nützen, da ich nichts sagen konnte.
Ich rief die Nummer meiner Mutter auf.
Ãber mir ein unterdrückter Fluch, dann ein dumpfer Schlag, als etwas gegen den Schreibtisch prallte, eine Staubwolke.
Ich werde jetzt nicht niesen, dachte ich. Ich werde nicht wie ein Klischee sterben.
Die Handy-Tasten waren ganz nass vor SchweiÃ. Ich gab einen Buchstaben nach dem anderen ein und konzentrierte mich darauf, mich nicht zu vertippen. Während ich versuchte, immer dann zu atmen, wenn er auch atmete, schrieb ich eine SMS.
Bin in prof h buero ruf polizei brauche â
Plötzlich hielt er den Atem an. Ich aber nicht.
Bitte, dachte ich. Doch im Büro war es viel zu ruhig; mein Atem war so laut wie der Wind. Die Beine beugten sich. Der Lichtstrahl glitt über mein Gesicht und alles um mich herum versank in blendendem WeiÃ. Das Telefon rutschte mir aus der Hand und ich schaffte es gerade noch, den Finger auf eine Stelle zu drücken, die bei jemand anders, der etwas mehr Glück hatte als ich, den Befehl zum Abschicken der SMS geben würde. Meine Finger krampften sich um das Gehäuse und machten sich bereit, das Telefon in irgendetwas zu stoÃen, ein Auge, den weichen Knorpel einer Nase, irgendwohin, wo ich ihm wehtun konnte, bevor er mir wehtat. Und dann bewegte sich der Strahl der Taschenlampe von meinem Gesicht zu seinem.
»Das kann nicht bequem sein«, sagte Eli. Er hielt sich die Taschenlampe unters Kinn, wie ein Pfadfinder, der am Lagerfeuer sitzt und zu einer besonders blutigen Gruselgeschichte ansetzt. Auf seinem Gesicht lag ein breites Grinsen.
Ich war ernsthaft versucht, meinen Nasen-Angriffsplan durchzuziehen.
»Und bevor du schon wieder fragst«, meinte er. »Ja. Dieses Mal habe ich dir tatsächlich nachspioniert. Aber fairerweise muss ich dazusagen, dass du mich erst auf den Gedanken dazu gebracht hast.«
»Was zum Teufel stimmt mit dir nicht?« Ich kroch unter dem Schreibtisch hervor und stand
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