Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Buch aus Blut und Schatten

Das Buch aus Blut und Schatten

Titel: Das Buch aus Blut und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Wasserman
Vom Netzwerk:
sage ich mir auch die ganze Zeit. Aber…«
    Â»Er lebt«, beruhigte mich Adriane. »Hör auf, dir selbst leidzutun. Er wird irgendwann zurückkommen.«
    Noch deutlicher brauchte sie nicht zu werden. Eine ungemütliche Stille entstand.
    Â»Wie geht es dir?«, fragte ich schließlich. »Ganz ehrlich.«
    Â»Das hab ich doch schon gesagt – ich bin von den Koryphäen der psychiatrischen Zunft für voll zurechnungsfähig erklärt worden. In ein paar Tagen schmeißen sie mich hier raus.«
    Â»Nein, ich meine… nach dem, was passiert ist. Chris.«
    Â»Darüber brauchen wir nicht zu reden.«
    Â»Aber wenn du möchtest… du weißt, dass ich…« Vielleicht hätten sie mir jetzt leidtun sollen, alle Eltern, Lehrer und Freunde, die sich durch peinliche Versuche gestammelt hatten, etwas in Ordnung zu bringen, das sich nicht wieder in Ordnung bringen ließ, während ich stumm und mit ausdruckslosem Gesicht geschwiegen hatte, bis ihnen die Worte ausgegangen und sie mich wieder in Ruhe gelassen hatten. Starr wie eine Statue dagesessen hatte, wenn sie den Fehler gemacht hatten, mich umarmen, streicheln oder drücken zu wollen, oder sonst wie in die unantastbare Zone um mich herum eingedrungen waren. Stattdessen hasste ich mich nur dafür, genau so zu sein wie sie, obwohl ich es doch eigentlich besser wissen müsste.
    Â»Worüber willst du reden, Nora?« In ihrer Stimme lag ein scharfer Unterton. »Willst du mir erzählen, wie es war, ›die Leiche‹ zu entdecken und das Blut von deinen Händen zu bekommen? Willst du mir erzählen, wie Chris mit diesen Löchern im Leib ausgesehen hat, ob seine Augen offen waren, ob du geschrien hast, ob ich geschrien habe?« Ihre Stimme zitterte nicht, ihr Körper war völlig ruhig. Alles an ihr war fest und hart – aber es war eine spröde Härte. Als wüsste sie, dass sie zerbrechen würde, wenn sie sich bewegte, selbst wenn es nur ein kleines bisschen war. »Oder vielleicht willst du, dass ich rede. Willst du wissen, wie es war, hier aufzuwachen und irgendeine Schwester in orangefarbenem Polyester sagen zu hören ›Guten Morgen, es ist Donnerstag, die Sonne scheint, Ihre Eltern haben Blumen gebracht, ich heiße Sandra, ach, und übrigens, Sie waren drei Wochen lang ein Zombie und Ihr Freund ist tot‹?« Adriane hob die Hand, um sich eine Haarsträhne hinters Ohr zu streichen, und erst mit dieser Geste verriet sie sich: Sie zitterte. »Darüber zu reden, bringt gar nichts. Und daher ist die Antwort auf die Frage, wie es mir geht, ab jetzt ›Gut‹. Wenn du damit nicht zurechtkommst…«
    Â»Dir geht’s gut«, sagte ich und erst in diesem Moment wurde mir klar, wie sehr ich reden wollte – wie satt ich es hatte, allen etwas vorzumachen. Doch ich war im Moment nicht wichtig. »Ich hab’s verstanden.«
    Adriane war noch nie jemand gewesen, der viel weinte. Allerdings hatte sie bis jetzt auch noch nie viel Anlass zum Weinen gehabt. Perfekter Freund, perfektes lebensgroßes Barbie-Traumhaus mit zwei perfekten Eltern, perfekte Noten unter gleichzeitiger perfekter Vortäuschung schulischer Faulheit, perfekter Körper, perfekte Haare, perfekte Nägel, perfekte Liebe, perfektes Leben. Aber – erst jetzt kam mir der Gedanke – es war sicher leicht, Tränen zu verbergen, wenn man das perfekte Lächeln hatte. Vielleicht weinte sie mehr, als mir bewusst war.
    Â»Also«, sagte sie.
    Â»Also«, sagte ich.
    Â»Der neueste Klatsch. Da kann man nichts verkehrt machen.«
    Ich tat, was mir befohlen wurde. Ich erzählte ihr, dass Holly Chandlers Brüste mitten in einem Volleyballspiel einen Auftritt hingelegt hatten und dass Pranti Shah jetzt mit Ben Katz ging, obwohl er angeblich immer noch mit seiner inoffiziellen Freundin, die er seit vier Jahren hatte, und – so das Gerücht – der neuen Englischlehrerin schlief. Wir täuschten unser Lächeln vor, bis es mit der Zeit in ein echtes überging. Vergessen war einfacher, als es hätte sein sollen.
    Â»Sing es mir vor«, bat sie, als ich berichtete, dass unser Geschichtslehrer bei der Karaoke-Nacht in einer Kneipe sternhagelvoll zum Mikrofon gegriffen hatte und den Gerüchten (und dem Liedtext) zufolge, die am nächsten Tag in der Schule kursierten, ein improvisiertes Liebeslied für seine Exfrau geschmettert hatte.
    Â»Auf keinen

Weitere Kostenlose Bücher