Das Buch aus Blut und Schatten
Fall.«
»Ich bin in einer psychiatrischen Anstalt«, machte sie mir klar. »Und ich bin mir ziemlich sicher, dass du sämtliche meiner Launen zu ertragen hast.«
Wir waren beide ausgesprochen gut darin, so zu tun, als wäre alles andere egal. Ich fragte mich, ob man zu gut darin sein konnte. »Wenn du anfängst zu glauben, du wärst Elvis, kaufe ich dir einen Overall mit Glitzersteinchen«, versprach ich ihr.
»Bitte nicht. Wenn ich vorhätte, gröÃenwahnsinnig zu werden, würde ich mir jemanden mit mehr Gefühl für Mode aussuchen. Und da wir gerade davon sprechen â ich habe meine Unmengen an Freizeit dazu genutzt, einen Reiseplan aufzustellen. Und wage es ja nicht, dich über das Verhältnis Boutiquen versus Museen zu beschweren. Eins kannst du mir glauben: Mit einer ordentlichen Portion Mode lässt sich Kultur viel besser ertragen.«
»Hab ich was verpasst? Reiseplan? Wofür?«
Sie verdrehte die Augen. »Halloo? Bonjour? Paris? In zwei Wochen?«
»Adrianeâ¦Â« Mein Blick ging zu den Gitterstäben vor dem Fenster und der Tür, die sich nicht von innen absperren lieÃ.
»Ich habe dir doch gesagt, dass es mir gut geht und ab Samstag bin ich wieder zu Hause. Zeit genug, um einkaufen zu gehen und die Koffer für les vacances magnifiques zu packen.«
»Bist du verrückt?«, fragte ich, ohne zu nachzudenken.
»Nicht mehr.« Adriane lächelte nicht.
»Ich kann nicht mit«, protestierte ich. »Und du auch nicht. Nicht nach dem, was passiert ist. Sinn der Reise war doch, dass wir zusammen fahren, und jetztâ¦Â«
»Was âºund jetzt â¦â¹? âºNicht nach dem, was passiert istâ¹? Seit wann bist du denn wie alle anderen?« Sie war plötzlich wütend. Und hinter ihrer Wut war noch etwas, etwas, von dem ich wusste, dass sie es mir nie zeigen würde. Etwas, an dem sie zerbrechen konnte. Wir waren uns noch nie so ähnlich gewesen. »Chris ist tot. Jemand hat ihn umgebracht. Das ist passiert. Glaubst du, daran wird sich etwas ändern, wenn ich hier rumsitze und in Tränen zerflieÃe?«
»Glaubst du, daran wird sich etwas ändern, wenn du nach Frankreich fliegst? Glaubst du, du würdest Spaà haben?«
»Um Spaà geht es nicht«, sagte sie. »Jetzt nicht mehr.«
»Um was dann?«
»Du hast ja recht. Es wird nicht so sein, wie wir es geplant hatten. Das kann es gar nicht. Aber wenn es eine Chance gibt, hier rauszukommen, selbst wenn es nur für eine Woche ist, werde ich sie nutzen. Oder besser gesagt, ma mère und mon père nutzen sie an meiner Stelle.«
»Wie bitte?«
»Sie behaupten, dass räumlicher Abstand und die europäische Luft all meine Gebrechen heilen werden. Ganz zufällig werden sie in der Woche das Gleiche in irgendeinem Wellnesshotel auf Aruba tun. Und auf keinen Fall wollen sie ihren Urlaub absagen, nur um ihrer armen, lädierten Tochter beizustehen.« Sie lachte schrill. »Der Preis für die Eltern des Jahres ist wohl in der Post verloren gegangen.«
»Adriane, wenn du sie bittest hierzubleiben, werden sie sicherâ¦Â«
»Sie fliegen«, meinte sie. »Daher fliege ich. Und daher fliegst du auch.«
»So einfach ist das nicht.«
»Doch, ist es. Wenn du wirklich willst.«
»Adrianeâ¦Â«
»Ich mach deine Mathe-Hausaufgaben. Für den Rest des Jahres.«
»Das kann ich auch allein.«
»Aber ich kann es besser.«
Ich lächelte nicht. »Adriane, ich kann nicht mit nach Paris. Wenn du nicht über den Grund dafür reden willst, okay, dann reden wir auch nicht drüber. Aber ich lasse mich nicht erpressen und du kannst nicht einfach einen Witz darüber machen. Das weiÃt du auch.«
»Okay.«
»Wirklich?« So kannte ich sie gar nicht.
»Okay â wenn du mir versprichst, wenigstens darüber nachzudenken.«
Das klang schon eher nach Adriane.
»Du brauchst es nur zu versprechen«, fügte sie hinzu. »Dann werde ich dich deswegen auch nicht mehr nerven.«
»Werâs glaubt.«
»Okay, ich werde dich mindestens vierundzwanzig Stunden lang nicht nerven.«
»Du hast mir gefehlt«, sagte ich.
»Du hast mir wahrscheinlich auch gefehlt«, erwiderte sie. »Ich kann mich nur nicht daran erinnern.«
25 An diesem Abend hätten wir feiern sollen. Aber Adriane verbrachte ihn in diesem Irrenhaus und ich, wie alle
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