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Das Buch aus Blut und Schatten

Das Buch aus Blut und Schatten

Titel: Das Buch aus Blut und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Wasserman
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Autos in Deckung gehen oder ganz frech einfach hinter uns herschlendern würde, und ich wusste, dass es keine Möglichkeit gab, ihn aufzuhalten.
    Doch wir ließen Straße um Straße hinter uns und er war uns nicht auf den Fersen. Eigentlich hätte ich erleichtert sein sollen.
    14 Um Mitternacht war die Stadt anders. Immer noch schön – vielleicht sogar noch schöner –, aber auch hässlicher, mit Glasscherben, die im Licht der Straßenlampen glitzerten, von heftigem Rauschen begleitete Madonna-Songs aus den Souvenirgeschäften, die offenbar nie schlossen, Kamerablitzen von allen Türmen, wie eine Mahnung, dass man in dieser Stadt nie allein war.
    Ãœber die Hauptstraßen wälzten sich Touristen, Familien, die betrunkenen Gruppen von Junggesellenabschieden auswichen, johlende Verbindungsstudenten in einheitlichen Sweatshirts, auf denen Prager Saufteam stand, einige von ihnen auf Fahrrädern mit sechs Sitzen, deren Nummernschilder PARTY AUF RÄDERN verhießen. Doch die Seitenstraßen waren verlassen. Im orangestichigen Licht leuchtete Graffiti: grobe, wütende Striche in der Farbe von Blut oder Rost, die auf unverputzte Steinmauern gesprüht, Wörter, die mit zu vielen Konsonanten vollgestopft waren, Pfeile, Gesichter und eine verblasste Markierung, die ein Kreuz oder ein Hakenkreuz sein konnte, alle möglichen geheimnisvollen Symbole bis auf das eine, das ich suchte, aber nicht fand. Unsere Schritte hallten auf dem Pflaster.
    Â»Und wenn er nicht da ist?«, fragte ich, als wir dem Treppenabgang, der von der Karlsbrücke zur Kampa-Insel führte, nach unten folgten. Neben uns floss ein ruhiges, schmales Gewässer: Čertovka, der Teufelsbach.
    Â»Er wird da sein«, sagte Adriane.
    Â»Und was dann?«
    Am Geländer lehnte eine schlanke Gestalt, den Rücken zum Wasser, das Gesicht im Schatten. Ich glaubte es erst, als er den Kopf in unsere Richtung drehte und das Mondlicht sich in seiner Brille spiegelte.
    Max.
    Er trat in den Lichtkegel der Straßenlampe neben ihm und lächelte. Er sah dünner aus, als ich ihn in Erinnerung hatte, und blasser, aber das hätte auch am Licht liegen können, das seine Haut gelblich wirken ließ.
    Max.
    Er hob grüßend die Hand, bewegte sich aber nicht. Offenbar wartete er darauf, dass wir zu ihm kamen. So war es auch in meinen Träumen gewesen – doch in meinen Träumen wich er zurück, wenn ich nah genug war, um ihn zu berühren. Er rannte davon, ich rannte ihm nach, doch ich schaffte es nie, ihn einzuholen.
    Max.
    Hier.
    Am Leben.
    Er sollte alles wieder in Ordnung bringen. Er sollte alles reparieren, was kaputt war, er sollte mich reparieren. Er sollte mich festhalten, wenn ich mich in seine Arme warf, mich drücken, bis ich mich sicher fühlte. Er sollte uns sagen, warum Chris tot war und warum er verschwunden war und warum alles auseinandergebrochen war. Und dann sollte er alles wieder zusammensetzen.
    Bevor ich ihn erreichte, blieb ich stehen, in ein paar Metern Abstand. Irgendetwas stimmte nicht – mit mir stimmte etwas nicht. Denn das Wiedersehen mit ihm sollte mich wieder fühlen lassen, sollte das Loch in mir füllen. Doch ich war: wütend. Erleichtert. Traurig. Dankbar. Verwirrt. Verstört.
    Aber gut fühlte ich mich nicht.
    Ich fühlte mich nicht sicher.
    Â»Max!« Adriane war diejenige, die seinen Namen rief, die zu ihm rannte, mit weit ausgebreiteten Armen, während ihr Tränen übers Gesicht liefen. Sie klammerte sich an ihn, er ließ es zu, und egal, wie sie zueinander stehen mochten, es hatte nichts Seltsames an sich. Beide waren Chris nahe gewesen, beide hatten das, was in jener Nacht geschehen war, durchgemacht, zusammen, beide hatten überlebt. Adriane war die Normale von uns beiden. Ihr Gesicht war in der Schulter vergraben, die sie immer für zu schmal und knochig gehalten hatte, und sie zitterte unkontrolliert in Max’ »dürren Krakenarmen«, wie sie sie früher einmal genannt hatte. Max sah mich an, über ihre Schulter hinweg, doch er ließ sie nicht los und wartete darauf, dass ihr Atem langsamer wurde und ihr Schluchzen aufhörte. Als sie sich schließlich mit tränenüberströmtem Gesicht von ihm löste, hatte sie sich wieder beruhigt.
    Ich war sicher, dass mit mir etwas nicht stimmte.
    Max kam auf mich zu.
    Â»Wo bist du die ganze Zeit gewesen?«, fragte ich. Nicht Ich liebe dich, ich habe dich

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