Das Buch der Gaben - Tommy Garcia ; Band 1
durch die Wand in das Haus. Uns drei zurückgebliebenen gefror das Blut in den Adern. Mit eisigem Schrecken und weit aufgerissenen Augen mussten wir mit ansehen, wie Janines Körper in der Mitte zweigeteilt wurde. Ihr Bauch schien für einen Moment wie mit einem Messer durchtrennt zu sein, und der noch sichtbare Unterkörper sank zu Boden. Die Beine strampelten. Es sah gespenstisch aus, grauenhaft. Heftig wirbelte der Staub auf. Es war schlimm. Doch das Allerschlimmste war, dass ihr eben noch markerschütternder Schrei komplett erstickte und kein einziger Laut mehr von ihr zu uns nach draußen drang.
In diesem Moment war ich mir sicher, Janine würde jetzt sterben.
IM INNERN
W ir waren unfähig, uns zu bewegen. Ich wollte etwas rufen, aber ich hatte einen so trockenen Mund, dass ich nicht mal ein heiseres Flüstern herauskriegte. Meine Augen blickten starr vor Entsetzen auf die Beine von Janine, die da so grausig vor der Mauer zappelten.
Doch dann geschah etwas, das unsere Erstarrung lösen sollte. Jever kläffte wie verrückt. Er dachte wohl, Janine wolle mit ihm spielen. Ehe Tommy es verhindern konnte, raste der Hund quer über den Weg und mit seinen lustigen Hopssprüngen auf Janine zu, jedenfalls auf das, was von ihr noch zu sehen war, so wie er es immer tat, wenn er jemanden liebte. Er schien nicht zu merken, dass es nur ein Teil ihres Körpers war, und setzte kurz vor ihr zu einem Sprung an … und sprang in etwa einem Meter Höhe durch die Hauswand!
Jetzt merkte ich, warum mein Mund so trocken war: Mir stand die Klappe noch immer offen! Das, was wir hier sahen, konnte unmöglich wirklich geschehen sein. Es schien wie eine Illusion, wie ein Trick aus einem George-Lucas-Film.
Jever war weg, und was jetzt passierte, war eigentlich sogar lustig, wenn man denn mal davon absah, dass der halbe Körper von Janine immer noch wie eine Figur in einem Gruselkabinett zuckte.
Jever kam zurück!
So schnell und scheinbar unkompliziert, wie er hineingeraten war in das Haus, kam er auch wieder heraus, mitten durch die Wand mit einem perfekten, beinahe artistischen Hopser! Und er schien weder verletzt noch ängstlich, im Gegenteil, mit fröhlichem Kläffen hüpfte er ein zweites Mal durch die Mauer, kam sogleich wieder zurück und sprang nach einer schnellen Drehung sofort wieder rein. Unwillkürlich musste ich an den Moment denken, als ich Tommy und Jever das erste Mal gesehen hatte, damals bei ihrer Ankunft von meinem Fenster aus. Und damit war ich wieder zurück im Leben, im Hier und Jetzt.
»Janine!«, schrie ich und rannte vorwärts. Ich bemerkte gerade noch so, wie die Beklemmung aus Tommys und Sannes Gesicht wich und sie hinter mir her stürzten.
Wir knieten uns in den Sand und begannen, an Janines Füßen zu zerren. Die zappelten jedoch noch immer so stark, dass sie mir einen ordentlich schmerzhaften Tritt versetzten. Doch mit Tommys Hilfe gelang es, die wilde Trampelei in den Griff zu kriegen, wobei wir tunlichst vermieden, auf die Stelle zu gucken, an der Janines Körper aus der Wand ragte. Mit einem Ruck zogen wir gleichzeitig an den Beinen, und zu unserer Überraschung kam Janines Oberkörper tatsächlich aus der Wand und war wieder sichtbar. Und nicht nur das, wir konnten sie auch wieder verstehen!
»Auuu! Hört auf zu ziehen, das tut weh!«, zeterte sie.
Unendlich erleichtert setzten wir ihre Beine auf den Weg und kauerten uns neben sie. Ihr Gesicht war kreidebleich,doch ihre Augen blitzten triumphierend. »Seht ihr«, sagte sie, »man muss sich nur trauen. Ich hab den Eingang gefunden! Ich!«
»Bist du verletzt?«, fragte ich und spürte kurz die Versuchung, sie vielleicht abzutasten, aber das traute ich mich dann doch nicht. Außerdem ging es hier auch um Wichtigeres.
»Nein … , ich glaube nicht, ich … « Plötzlich drehte Janine sich um und starrte die Wand an.
»Wow, habe ich einen Schreck bekommen. Ich dachte, ich falle in einen Höllenschlund oder so was. Ich habe geglaubt, das Haus stürzt über mir zusammen oder hinter der Wand ist ein Abgrund oder … «
Sie zitterte. Sanne drängte sich zwischen Tommy und mich und bot Janine ihre Hand an, damit sie aufstehen könne. Das tat sie dann auch und klopfte sich den Staub von den Jeans. Jever und Lazy schauten uns fragend an. Jever war ein Phänomen, der rannte einfach los und sprang ohne Angst durch die Wand. Was für ein Hund!
»Was hast du gesehen?«, drängte ich. Ich hielt die Spannung nicht mehr aus, ich wollte jetzt endlich wissen, was
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