Das Buch der Gaben - Tommy Garcia ; Band 1
vollgesabberten Ast, den er seinem Herrchen zurückgab.
Tommy schaute uns lächelnd an. Dann drehte er sich um und bahnte sich den Weg durch die Hecke hinaus. Wir anderen blieben völlig verblüfft stehen. Was machte er denn jetzt?
»Ich hol nur meinen Rucksack«, rief er über die Schulter zurück. »Den hab ich vorhin fallen lassen, als Janine die Zahlen entdeckt hat. Ich bin sofort zurück. Aber geht ja nicht ohne mich rein!«
Ich sah Janine an, und Sanne sah mich an, und wir dachten alle dasselbe: Niemals, aber auch wirklich niemals würden wir ohne Tommy da reingehen! Wir drehten uns um und schauten die Wand an. Sie sah ganz normal und völlig ungefährlich aus. Nichts deutete darauf hin, dass wir hier einem unglaublichen Geheimnis auf die Spur gekommen waren.
Da hatte ich eine Idee. Langsam ging ich ein Stück seitwärts und schaute nach oben. Nichts. Ich schüttelte ungläubig den Kopf und schaute noch einmal in die Höhe. Wieder nichts.
Die anderen sahen mich fragend an.
»Was hast du?«
»Die Zahlen sind verschwunden. Sie sind weg. Einfach nicht mehr da.«
Auch Sanne und Janine liefen nun ein Stück am Haus entlang, aber auch sie konnten nichts entdecken. Die Holografie ließ sich nicht mehr zum Leben erwecken. Sie blieb verschwunden.Und ich hatte das Gefühl, dass wir sie auch nicht mehr wiedersehen würden.
*
»Du zuerst«, sagte Tommy und sah dabei tatsächlich mich an. Ich schluckte. Ich war ganz sicher gewesen, dass Tommy ohne Angst vorangehen würde.
»Warum denn ich?«, entfuhr es mir.
»Na, weil du das Rätsel gelöst hast! Du hast die Bedeutung der Holografie entschlüsselt, und ich glaube, dass der, der sie installiert hat, durchaus wollte, dass jemand das Rätsel löst und damit auch den Schlüssel zu diesem Haus in der Hand hat. Und dieser Jemand bist nun mal du.«
Ich wollte eigentlich nicht ängstlich aussehen, weil die beiden Mädchen mich ja auch erwartungsvoll ansahen, aber so ganz gelang mir das nicht. Außerdem dachte ich, das Haus ist doch auch für Janine und Jever offen gewesen, also wartete es nicht nur auf mich. Aber sagen wollte ich das nicht, denn als Feigling oder Drückeberger mochte ich nicht gelten. Ich überwand mich und sagte: »Gut, ich mach’s. Aber gib mir deine Taschenlampe, und ihr kommt sofort hinterher, ja?«
Mit einem mehr als mulmigen Gefühl im Bauch sah ich zu, wie Tommy in seinem Rucksack kramte und die Taschenlampe suchte. Die Sekunden, die er dafür brauchte, schienen mir wie eine Galgenfrist, die mir noch bliebe, bisich dem Tod gegenüberstehen würde. Selbst Janines bewundernder Blick konnte mich nicht entschädigen.
Dann war es soweit. Mit einem aufmunternden »Na denn« reichte Tommy mir die Lampe. Wenigstens Lazy wollte ich mitnehmen, also pfiff ich nach ihm, was mir noch ein paar zusätzliche Sekunden verschaffte. Ich kannte ja meinen Hund.
Doch schließlich fiel mir nichts mehr ein, was die Sache noch weiter verzögern könnte. Ich holte tief Luft und stellte mich dicht vor das Haus.
Ich überlegte:Welche Chancen hatte ich? Janine war nichts geschehen, okay. Und Jever hatte keine Angst. Was aber, wenn jetzt alles anders sein würde? Ich schimpfte mich einen Feigling, doch die Gedanken waren nicht ganz von der Hand zu weisen. Ich beschloss, nicht gleich mit ganzer Wucht durch die Mauer zu springen, sondern zuerst einen vorsichtigen Test zu machen. Ich kniff die Augen zusammen, streckte meinen rechten Arm vor und berührte die so stabil scheinende Wand mit meiner Handfläche. Sie gab nach! Langsam durchdrang ich die Mauer. Meine Nackenhaare hatten sich aufgerichtet, und ein kalter Hauch strich über meinen Rücken.
»Was ist? Spürst du was?«, fragte Sanne mit ängstlicher Stimme.
Ich versuchte, irgendwas zu ertasten, aber ich konnte beim besten Willen nicht behaupten, dass meine Hand etwas fühlte. Es wurde nicht kalt oder heiß, es gab keinen Druck undkein Ziehen. Es war, als wäre da überhaupt nichts, als befände ich mich im Vakuum. Ich wusste nicht, ob ich nun weniger oder eher mehr Angst haben sollte.
»Nein, ich spüre überhaupt nichts«, sagte ich. »Ich komme mir vor wie bei Stargate, als ob ich in einen großen Ring eintauchen und in eine andere Welt gesogen werde.«
»Das ist nur ein Film«, wollte Janine mich beruhigen. »Ich bin auch nirgendwo reingesogen worden. Der Fußboden war kühl und fühlte sich an wie Fliesen oder Stein. Wenn du willst, gehen wir zusammen rein.«
»Nein«, sagte ich, wild entschlossen, jetzt
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