Das Buch der Gaben - Tommy Garcia ; Band 1
über Sannes Hand und pustete die feine Asche davon.
»Was machst du?«, fragte ich verblüfft. »Du kannst dasdoch nicht einfach wegpusten! Wer weiß, was dann passiert!«
»Weg ist weg«, sagte Tommy ungerührt. »Jetzt haben wir eine weniger. Was auch immer passiert, an der Asche liegt’s nicht.«
»Und was passiert jetzt?«, fragte Sanne unsicher. Vorsichtig schloss sie ihre Faust wieder um die verbliebenen Kugeln.
»Keine Ahnung. Ich weiß nur eins: Wir müssen endlich nach Hause! Was ist jetzt, Janine, sollen wir mit reinkommen oder nicht?«
»Nein«, sagte Janine tapfer. »Ich geh schon. Aber wartet einen Moment, wenn ich drin bin. Wenn mein Vater anfängt zu schreien, wär’s vielleicht doch nicht schlecht, wenn ihr mir helft.«
Der Abschied fiel uns schwer. Die Erlebnisse hatten uns eng zusammengeschweißt. Wir fühlten uns, als wären wir bereits Jahre miteinander befreundet und nichts könnte uns trennen. Jeder nahm Janine kurz in den Arm und drückte sie. Dann sahen wir zu, wie sie sich umdrehte, die Gartentür öffnete und den kurzen Weg bis zur Haustür zurücklegte. Sie hatte einen Schlüssel dabei, fingerte ihn aus der Jeans hervor und schloss die Tür auf. Dann drehte sie sich noch einmal kurz zu uns um.
»Nur Mut!«, sagte Tommy. Janine lächelte gequält, dann betrat sie den Flur, und die Tür schloss sich leise hinter ihr.
Mindestens drei Minuten standen wir vor ihrem Haus undlauschten. Aber nicht das Geringste drang nach außen. Dann auf einmal erschienen im Wohnzimmerfenster die Silhouetten zweier Menschen.
»Da ist Janine!«, rief Sanne.
»Und ihr Vater!« Es musste ihr Vater sein, denn von einem Bruder hatte sie nie erzählt. Und was wir dann sahen, sorgte dafür, dass wir einen Teil unserer Sorgen verloren. Janines Vater legte einen Arm um sie, und beide schienen sich angeregt zu unterhalten. Ein Stein fiel mir vom Herzen.
»Sieht nicht danach aus, als müssten wir ihr beistehen«, sagte Tommy. »Kommt, lasst uns gehen!«
Mit einem letzten Blick überzeugten wir uns davon, dass alles in Ordnung war. Dann machten wir uns auf den Weg zu unserem eigenen Zuhause.
Während wir wieder in die Welfenallee einbogen und die letzten zweihundert Meter bis zu unserem Haus zurücklegten, sagte niemand von uns ein Wort. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Ich spürte die Holografie in meiner Hand. Wenn sie nicht gewesen wäre und ich nicht dauernd ihr fremdartiges Material gefühlt hätte, ich hätte gar nicht mehr daran geglaubt, dass all die Abenteuer, die gerade erst hinter uns lagen, tatsächlich geschehen waren.
Doch dann standen wir vor unserer eigenen Haustür, und jetzt hatte mich die Realität endgültig eingeholt. Wir schauten uns an, zögerten aber nicht mehr. Gemeinsam stiegen wir die drei Etagen bis zu unserer Wohnung hoch. Vor der Wohnungstür blieben wir noch mal kurz stehen, umuns zu verabschieden. Tommy musste ja noch eine Treppe höher.
»Okay«, sagte er nur kurz. »Wir sehen uns morgen.«
»Hoffentlich«, murmelte ich. »Wenn wir keinen Stubenarrest kriegen.«
Sanne drückte Tommy kurz an sich, und wir Jungs verständigten uns stumm mit Blicken. Dann sahen Sanne und ich zu, wie er entschlossen die Treppe hochstapfte. Als ich hörte, wie er oben an seiner Wohnungstür klingelte, drückte auch ich auf den Knopf. Einen Schlüssel hatten wir nicht mitgenommen. Angsterfüllt warteten wir darauf, dass die Tür aufgehen würde.
Es dauerte nicht lange, und unsere Mutter öffnete. Und was dann geschah, konnten wir nicht fassen. Mutter sah Sanne an und dann mich und wieder zu Sanne und zurück. Dabei strahlte sie über das ganze Gesicht!
»Hey, da seid ihr ja! Und, wie war’s? Kommt doch rein!«
Wie vom Donner gerührt stand ich da und begriff einfach nicht, was los war. Was war in meine Mutter gefahren? Ich hatte das Strafgericht für mein Zeugnis noch gar nicht hinter mir, und dann kamen wir um halb eins in der Nacht nach Hause, und meine Mutter lachte mich an! Ich verstand die Welt nicht mehr.
Sanne stupste mich. »Komm schon«, flüsterte sie. »Ehe sie sich’s anders überlegt.«
»Und was ist mit Vati?«, flüsterte ich zurück.
Sanne zuckte mit den Schultern. Sprachlos folgten wirunserer Mutter in die Küche. Egal, was hier vor sich ging, Durst hatte ich jedenfalls wie verrückt.
»Ich habe euch ein paar Brote gemacht. Sie stehen im Kühlschrank.«
Ich sah, dass Sanne bald die Augen zufallen würden, und winkte ab. Ich war selber todmüde und konnte auf
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