Das Buch der Gaben - Tommy Garcia ; Band 1
einmal kaum noch stehen. Jetzt fielen die ganze Anspannung und der ganze Stress mit aller Macht von uns ab. Endlich waren wir wieder zu Hause und in Sicherheit. Ich gähnte herzhaft.
»Lass mal, ich will nur was trinken und dann geh ich ins Bett.«
»Ich auch«, murmelte Sanne. »Wenn ich doch bloß schon Zähne geputzt hätte und im Bett liegen würde!«
»Na gut«, sagte Mutter. »Ich hol euch nur noch ein Glas Mineralwasser und dann ab mit euch ins Bett.«
Sie öffnete die kleine Speisekammer in unserer Küche und suchte nach einer vollen Flasche. In diesem Augenblick hörte ich einen leisen Aufschrei meiner Schwester. Überrascht wandte ich mich zu ihr um und erstarrte. Eben noch hatte sie hinter mir gestanden, doch jetzt war sie weg! Ich kniff die Augen fest zusammen und öffnete sie wieder. War ich denn schon so müde, dass ich gar nichts mehr mitbekam? Aber Sanne blieb verschwunden und ich entdeckte auf unserem dunkelbraunen Parkett einen kleinen Fleck. Ich bekam auf einmal eine ganz seltsame Ahnung, was das sein konnte, und bückte mich, um es genauer anzusehen. Und ich sollte michnicht irren. Dort unten lag ein kleines Häufchen weißer Asche!
»Wo ist Sanne denn hin?«, fragte meine Mutter hinter meinem Rücken. »Sie wollte doch noch was trinken! Und was ist mit dir? Hast du was verloren?«
Ich kam wieder hoch und versuchte, ein möglichst unbeteiligtes Gesicht zu machen.
»Sie war wohl so müde, sie musste einfach ins Bett«, sagte ich und versuchte dabei unauffällig, das kleine weiße Häufchen mit dem Schuh zu verteilen. Meine Mutter nickte verständnisvoll und reichte mir ein Glas mit Wasser, das sie inzwischen eingegossen hatte.
»Na, dann. Ich muss jetzt auch endlich schlafen. Papa liegt schon seit neun im Bett.« Auf Mutters Gesicht lag ein Anflug von Traurigkeit. »Ihr wisst ja, wie er in letzter Zeit ist. Aber morgen muss er ja auch früh raus.«
Richtig nachdenken konnte ich schon nicht mehr. Ich nahm das Glas Wasser und trank es aus. Es schmeckte unvergleichlich gut. Jetzt erst merkte ich, wie durstig ich wirklich war. Dann murmelte ich »Gute Nacht!« und verschwand so schnell wie möglich aus der Küche.
Eine Sache allerdings hatte ich noch zu erledigen. Ich war gespannt wie ein Flitzbogen, als ich die Tür zu Sannes Zimmer leise aufmachte und vorsichtig einen Blick hineinwarf.
Sanne lag tatsächlich im Bett, und hatte sogar schon den Schlafanzug an. Mit großen Augen schaute sie mich an.
»Ich wollte das nicht … «, flüsterte sie mir zu, »… ich hab doch nur gesagt, dass ich am liebsten schon im Bett wäre, und dann war ich’s auf einmal!«
Ich nickte, denn ich hatte es geahnt. Und jetzt war es endgültig klar.
»Jetzt hast du nur noch vier«, sagte ich bedauernd. »Du solltest besser aufpassen, was du sagst!«
»Ich hab sie in den Nachttisch getan«, Sanne zog sich die Decke bis zum Kinn. »Heute Nacht passiert mir das nicht noch mal.«
»Wir werden aufpassen müssen, dass wir uns nicht noch mal verwünschen. Ich geh jetzt auch schlafen. Wer weiß, wie lange Mutti so gute Laune hat.«
»Ich hab mich verwünscht … ich hab mich verwünscht … «, murmelte Sanne immer wieder. Während ihr die Augen zufielen, hörte ich, wie meine Mutter aus dem Bad kam. Bevor ich Sannes Tür leise zumachte, raunte ich ihr noch etwas zu: »Du hast dich ja nur einmal verwünscht! Der erste Wunsch war klasse!«
Und das war er ja auch wirklich. Hätte sich Sanne vor Janines Haus nicht gewünscht, dass alles gut ausgehen soll, hätte uns ganz bestimmt fürchterlicher Ärger erwartet. Stattdessen waren da fröhliche Eltern, und mein Vater war sogar bereits sorglos ins Bett gegangen!
Ich schaffte es gerade noch so bis ins Bad und fiel danach hundemüde ins Bett. Unglaublich, dachte ich, es hatte funktioniert! Was würden wir uns morgen nicht alles zu erzählenhaben! Ich legte die Holografie unter mein Kopfkissen. Da würde sie ja wohl keinen Schaden anrichten. Dann dachte ich noch kurz an den See, den Urwald und all die verrückten Dinge, die uns begegnet waren und die wir erlebt hatten. Dabei fielen mir unmerklich, wie dem alten Lazy, der neben meinem Bett lag und laut vor sich hin schnarchte, die Augen zu. Und ich schlief die Nacht durch wie ein Stein.
*
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, schien mir die Sonne direkt ins Gesicht. Die echte Sonne! Wir waren ja während unseres Abenteuerausflugs die ganze Zeit von einem geheimnisvollen, aus irgendwelchen fremden Räumen kommenden
Weitere Kostenlose Bücher