Das Buch Der Hundert Vergnügungen
Gestalt und doch nicht formlos, beständig und doch stets im Fluss.
TH
SCHNEE
Es ist früh. Mond und Sterne verblassen allmählich und machen dem ersten Glimmen der Dämmerung Platz, während Sie die Tür schließen und sich vorsichtig nach draußen schleichen, in der Hoffnung, den Zauber nicht zu zerstören. Unter Ihren Stiefeln knirscht der wunderbare Schnee, der immer noch fällt und sich Schicht für Schicht sachte auf jedes Fleckchen des Weges legt, der vor Ihnen liegt. Der Park ruft. Nach und nach löst die düstere Nacht ihren Griff und übergibt das Zepter einem Tag kindlicher Freude. Die Welt wirkt leer, aber gar nicht beängstigend. Über allem liegt ein Hauch von Stille und Ruhe.
DK
BLUMEN
Das Pflücken von Blumen im Garten, am Wegrand, auf der Wiese oder im Wald, um sie anschließend in einer Vase zu arrangieren, ehe man die Vase ins Fenster stellt, ist gewiss eine der köstlichsten unter den Vergnügungen, die nichts kosten. Der zeitlose Vorgang, Blumen zu schneiden und sie in der Vase zu einem Strauß zu ordnen, gibt Ihnen Gelegenheit, das Wunder der Blüten, der Farben und Blätter eingehender zu betrachten und dabei zu bemerken, wie sich jede Blume von jeder anderen ein wenig unterscheidet. Nicht zwei sind identisch. Ist sie nicht erstaunlich, die zauberhafte Natur, wie sie ganz gemächlich ihr ureigenes Feuerwerk hervorbringt, wie sie monatelang die winzigen Samenkörner im Dreck wachsen lässt, um uns schließlich mit ihrer Farbenpracht zu überraschen?
TH
IM SECONDHANDLADEN
Sollten Sie jemals in die Verlegenheit kommen, in einer fremden Stadt Zeit totschlagen zu müssen, dann suchen Sie einen Secondhandladen einer Wohltätigkeitsorganisation, und bevor Sie die Ladentür mit der abblätternden Farbe öffnen und das Glöckchen bimmelt, überlegen Sie sich schnell, welchen Autor Sie immer schon mal lesen wollten, aber aus irgendwelchen Gründen nie in die Finger bekommen haben. Stellen Sie ihn sich in Gedanken vor, dann treten Sie selbstsicher durch die Tür und steuern zielbewusst an den leicht muffig riechenden Kleidern und dem traurigen Regal mit abgelegten Spielsachen vorbei direkt auf die überladenen Bücherborde zu. Selbst wenn sie das Buch, das Sie suchen, oder etwas vom Autor Ihrer Wahl nicht haben sollten, gibt es da bestimmt etwas, auf das Ihr Auge fällt, und wenn Sie richtig hinschauen, dann können Sie sogar manche Überraschung erleben. In einem Wohltätigkeitsladen in Chichester habe ich auf diese Weise Edgar Allen Poes Fantastische Erzählungen zusammen mit einer Erstausgabe von George MacDonald Frasers hervorragendem Quartered Safe Out Here für schlappe 3 Pfund erstanden. Die Bücherregale in Wohltätigkeitsläden sind selten alphabetisch sortiert, weshalb sie zum Stöbern ideal geeignet sind. Sie sind wie ein durcheinandergeworfenes Puzzlespiel aus den Büchern der kürzlich Verstorbenen.
DK
SICH AUF EIN GATTER LEHNEN
Nichts ist so kostenlos und einfach, wie sich auf ein Gatter zu lehnen. Das übliche Weidegatter mit seinen fünf Querstangen hat die oberste Stange genau auf der richtigen Höhe, um sich bequem darauf abstützen zu können. So an das Gatter gelehnt, können Sie in aller Ruhe der emsigen Natur bei ihrem Treiben zusehen. Sie können vergnügt lächeln, sinnieren oder träumen. Der Trick besteht darin, einen Fuß auf die unterste Stange des Gatters zu stellen. Das gibt Ihrem Gegendas-Gatter-Lehnen eine gewisse Verbindlichkeit. Ohne den Fuß auf der untersten Stange wirkt es allzu vorübergehend. In dieser Haltung können Sie bequem bis zu einer halben Stunde auf das Gatter gestützt dalehnen.
TH
MIT DEM NACHTZUG FAHREN
Langsames Reisen bedeutet, dass man die Fahrt nicht als Strapaze betrachtet, sondern als Grund, überhaupt irgendwohin zu fahren. Das beste Beispiel dafür ist der Nachtzug. Wenn Sie sich Zeit nehmen, um irgendwohin zu fahren, gibt Ihnen das Gelegenheit, sich allmählich zu akklimatisieren, und verschafft Ihnen erst das richtige Reiseerlebnis. Sie können aus dem Fenster schauen, nachdem Sie Ihren Blackberry hinausgeworfen haben, und, wenn Sie schon einmal dabei sind, auch Ihren Laptop zu Hause lassen. Züge verfügen über riesige Panoramafenster, die dem müßigen Betrachter einen herrlichen Ausblick bieten. Genießen Sie es einfach, einmal absolut nichts zu tun. Lassen Sie Ihre Gedanken wandern und schwelgen Sie in Erinnerungen, die Ihnen sonst nicht in den Sinn kämen, weil Ihnen die Zeit dafür fehlt. Sinnieren Sie nach Herzenslust
Weitere Kostenlose Bücher