Das Buch Der Hundert Vergnügungen
zu weit hinaufzuwagen. Vermeiden Sie um jeden Preis, dafür neues Holz im Baumarkt zu kaufen. Baumhäuser sollen Macken haben, herrlich schäbig aussehen und absolut einmalig sein.
DK
DURCH DIE STADT FLANIEREN
In Paris gab es im 19. Jahrhundert Menschen, die man als flâneur bezeichnete. Dabei handelte es sich um eine Art von bummelndem Dandy oder arbeitsscheuem Poeten, der durch die Stadt schlenderte, in den Passagen herumlungerte, auf Bänken lümmelte und Beobachtungen anstellte. Besonders extravagante Flaneure gingen mit Schildkröten spazieren, weil es ihnen gefiel, dass die Schildkröte das Tempo vorgab. Auch Sie können in Ihrer Stadt zum Flaneur werden: Gehen Sie einfach von zu Hause los, aber achten Sie darauf, langsam zu gehen. Anfangs wird Ihnen das unnatürlich vorkommen, doch liegt das nur daran, dass Sie erst einmal die jahrelange Erziehung zur schnellstmöglichen Fortbewegung von A nach B überwinden müssen. Bald schon werden Sie sich an das langsamere Tempo gewöhnen, und Sie werden großes Vergnügen haben an der Welt unendlicher Wunder, die Ihnen das Herumschlendern eröffnet.
TH
ZAUDERN
Jerome K. Jerome hat einmal geschrieben: »Mit dem Müßiggang ist es wie mit Küssen: nur gestohlen sind sie süß«, und damit betreten wir die wunderbare Welt des Zauderns und Prokrastinierens. Wann sonst sind ein paar zusätzliche Minuten im Bett so köstlich, als wenn man eigentlich längst auf dem Weg zur Arbeit sein sollte? Vermutlich könnten Sie jetzt sofort mit Ihren Hausarbeiten beginnen und hätten dann einen Tag frei, bevor Sie sie abgeben müssen, aber wie viel besser ist es, jetzt gleich den Tag freizuhaben, ehe Sie überhaupt mit der Arbeit beginnen? Stehlen Sie sich die Zeit zurück, die Sie auf all die lästigen Besorgungen verwenden, und schwelgen Sie darin, kosten Sie jede Minute aus. Nie habe ich die große DVD-Box der Herr der Ringe -Trilogie so reizvoll gefunden wie gerade dann, als die Abgabefrist für dieses Buch immer näher rückte. Richtiges Zaudern allerdings will gelernt sein. Jede Frist muss trotzdem eingehalten werden, sonst verliert das Stehlen der Zeit seine Wirkung. Überhaupt sollte das der Wahlspruch sein, der über sämtlichen Büros landauf, landab prangt: »Minimaler Aufwand, maximale Wirkung!«
DK
RAUCHEN
Viele Müßiggänger rauchen gern. Wir haben dann etwas zu tun, wenn wir dabei sind, nichts zu tun. »Mit jeder Zigarette saugt der Raucher das Müßigsein in sein Leben ein und entschuldigt es zugleich«, bemerkte Colette über diesen ehrenwerten Zeitvertreib. Dieses uralte Hilfsmittel der Entspannung, das uns ermöglicht, auf andere Gedanken zu kommen, wird jedoch unablässig attackiert von neidischen Heckenschützen aus den emsigen Scharen der Feinde des Müßiggangs. Können uns diese Wichtigtuer nicht einfach in Frieden lassen? Alle Müßiggänger, Raucher wie Nichtraucher, sollten sich den Mitgliedern der Anti-Raucher-Lobby als den wahren Unterdrückern von Muße, Genuss, Geselligkeit und Kontemplation standhaft entgegenstellen.
TH
DER LIEGESTUHL
Wer mag ihn nicht, den Liegestuhl? Wittgenstein jedenfalls mochte ihn. Er war das einzige Möbelstück in seinem Arbeitszimmer im Trinity College in Cambridge. Angeblich war das ein Beleg für seinen asketischen Lebenswandel, ich hingegen sehe im Liegestuhl die ideale Lösung für das Problem, wie ich eine bequeme Sitzgelegenheit die schmale Treppe zu meinem Arbeitszimmer hinaufschleppen soll. Doch dass der größte Philosoph des 20. Jahrhunderts im Liegestuhl eine gelungene Übereinstimmung von Form und Zweck erkannte, sagt auch etwas über die vollkommene Nützlichkeit dieses Möbelstücks. Stellen Sie ihn sich vor: ein Stuhl, der so bequem ist, dass man darauf schlafen kann, und der, wenn er nicht benutzt wird, einfach weggetragen werden kann. Der Liegestuhl ist ein Symbol der Muße ad hoc , des kurzen Nickerchens, des spontanen Sonnenbads. Er spricht uns vom Meer, ganz gleich, wo er steht; wenn ich mich in meinem Arbeitszimmer darin ausstrecke, höre ich leise das Schreien von Möwen und, tiefer in meine Träume versunken, sogar die vergangenen Zeiten der Ozeandampfer, denen der Liegestuhl seine Existenz verdankt. Von irgendwoher tönt eine Glocke – Zeit, sich zu erheben und sich umzuziehen für das Abendessen am Tisch des Kapitäns.
NL
EIN NICKERCHEN MACHEN
Von all den kostenlosen Vergnügungen, die uns zur Verfügung stehen, ist das Nickerchen die einfachste und befriedigendste. Traditionell zur
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