Das Buch Der Hundert Vergnügungen
wird immer noch gesungen, auf Baustellen und in der Werkstatt. Singen Sie also! Singen Sie wieder, wie wir einst gesungen haben!
TH
SONNENSTRAHLEN
Verschlafen steigen Sie an einem Sommermorgen die Stufen hinunter. Unten im Zimmer sind die Vorhänge geschlossen, bis auf einen. Ein Sonnenstrahl fällt durch die Dunkelheit auf den blauen Teppich, Staubkörnchen tanzen in seinem gebrochenen Licht. Barfuß gehen Sie bis an den Punkt, wo er auf den Boden trifft. Erst halten Sie bloß Ihren Zeh in die Wärme, dann den ganzen Fuß. Eine leuchtende Linie zieht sich über Ihren Knöchel. Langsam sinken Sie auf die Knie und tauchen ganz in das Licht ein. Sie rollen sich zu einer Kugel zusammen und schlafen wieder ein.
DK
STREICHHÖLZER IN GEMÜSE STECKEN, UM DARAUS
GEMÜSEMONSTER ZU MACHEN
Wozu braucht man gigantische Spielzeugläden und Websites, wenn man sich kostenlos sein eigenes Spielzeug basteln kann? Sie brauchen dazu nichts als eine Zucchini, eine Kartoffel oder eine Möhre, in die Sie Streichhölzer als Arme und Beine hineinstecken. Dann stecken Sie ein Paar Streichhölzer ganz hinein, sodass nur noch der Kopf herausguckt – voilà, schon haben Sie Augen. Lachen Sie über Ihr Monster, und dann lachen Sie über sich selbst. Was für ein Spaß es doch ist, ein Narr zu sein.
TH
KARTEN BETRACHTEN
Was haben Karten und Globen an sich, dass sie immer unsere ungeteilte Aufmerksamkeit zu beanspruchen scheinen? Ich habe Stunden damit verbracht, Karten von Orten zu betrachten, die ich nie im Leben besuchen werde, und Karten, die so alt sind, dass nichts darauf verzeichnet ist als ein schwacher Abglanz längst vergangener Zeiten. Vielleicht liegt es daran, dass sie uns zu Göttern machen, die herabschauen auf all die bedeutungslosen Faulenzer, die die Erde bevölkern.
Vielleicht befriedigen sie aber auch einfach unser Verlangen danach, sich ins Unbekannte zu wagen. An Orte zu reisen, wo die Menschen sich nicht an ihre nervtötende Arbeit und absurde Schulden ketten, Orte der Fantasie und der Freiheit, geheimnisvolle Orte.
Wie dem auch sei, das Karten-Origami, wenn Sie versuchen, den Riesenbogen Papier wieder genau entlang der vorgefalzten Knicke zusammenzufalten, kann manchmal schon ein bisschen anstrengend sein. Obgleich mir die Idee gefällt, dass sie einfach nicht weggepackt werden wollen. Vielleicht wollen sie uns damit etwas sagen.
DK
AM WEGRAND ESSEN SAMMELN
Brombeeren, Schlehen, Sauerampfer und selbst Blaubeeren und wilde Erdbeeren hält die Speisekammer der Natur kostenlos für uns bereit. Was für ein Vergnügen bereitet es, wenn wir uns unser Essen selbst sammeln, es anschließend nach Hause tragen und dort dann Brombeermarmelade, Schlehenlikör oder Brennnesselsuppe mit Sauerampfer daraus machen. Sie umgehen damit elegant die Notwendigkeit, arbeiten zu gehen, um Geld zu verdienen, und die ganze Sache bereitet Ihnen auch noch Freude von Anfang an. Sie erhaschen einen Blick auf eine Welt wahrer Autonomie und Freiheit.
TH
DIE WÄSCHE AUFHÄNGEN
Hausarbeiten sind eine der wenigen Gelegenheiten für unser Gehirn, sich zu entspannen, während unser Körper sich mit etwas Alltäglichem beschäftigt. Vorausgesetzt, Sie müssen sich nur um einen Teil der Hausarbeiten kümmern und nicht allein um alle, kann ihre Erledigung sogar zu einer schlichten Vergnügung werden. Nehmen Sie zum Beispiel das Aufhängen der Wäsche. Zunächst holen Sie die nasse Wäsche aus der Waschmaschine und tragen Sie in einem dieser hübschen kleinen Körbe, in denen Kinder sich gern durch den Garten ziehen lassen, nach draußen. Als Nächstes schlagen Sie mit einem satten Klatschen die zerknitterten Hosen und verdrehten Pullover aus, ehe Sie nach dem Beutel mit den Klammern greifen. Die kleine Wäscheklammer – was für ein einfaches, wundervolles Ding. Ein Stück nach dem anderen wandert auf die Leine, um sogleich in der leichten Brise hin und her zu flattern. Socken kommen, wenn möglich, paarweise auf die Leine. Die Unterwäsche Ihres Partners inspiriert Sie zu ein paar lasziven Gedanken, ehe Sie sie hübsch nebeneinander aufhängen. Dann ist Ihre eigene Unterwäsche an der Reihe, und spontan entscheiden Sie, ein paar grau und fadenscheinig gewordene Stücke auszusortieren. Schließlich werfen Sie den Klammmerbeutel mit einem dumpfen Klappern in den nun leeren Korb und schlendern zufrieden ins Haus zurück.
DK
KRANK SEIN
Krank sein muss mitnichten nur lästig sein, sondern kann uns ganz eigene bittersüße Freuden verschaffen.
Weitere Kostenlose Bücher