Das Buch der Illusionen
sagen wird: Er muss ins Krankenhaus, und ins Krankenhaus geht Hector nicht mehr. Er hat Krankenhäuser satt. Ich habe es ihm versprechen müssen, und ich habe ihm mein Wort gegeben. Keine Krankenhäuser mehr, Alma. Was hat es also für einen Sinn, Huyler anzurufen?
Hector hat eine Lungenentzündung, sagte Alma. Er hat nur noch einen Lungenflügel, und er kann kaum noch atmen. Deshalb musst du Huyler anrufen.
Er will hier im Haus sterben, sagte Frieda. Das hat er mir in den letzten zwei Tagen stündlich gesagt, und ich werde mich seinem Wunsch nicht widersetzen. Ich habe ihm mein Wort gegeben.
Ich fahre ihn selbst ins Saint Joseph's, wenn du zu müde bist, sagte Alma.
Nicht ohne seine Erlaubnis, sagte Frieda. Und jetzt können wir nicht mit ihm reden, weil er schläft. Wenn du willst, versuchen wir's morgen früh, aber ohne seine Erlaubnis werde ich das auf keinen Fall machen.
Während die beiden Frauen weiterredeten, sah ich mich um und erblickte Juan, der auf einem Schemel vor dem Herd balancierte und in einer Pfanne Rührei briet. Als das Essen fertig war, schob er es auf einen Teller und stellte es neben Frieda auf den Tisch. Die Eier, heiß und gelb, dampften kräftig auf dem blauen Porzellan - als sei ihr Geruch sichtbar geworden. Frieda sah kurz hin, schien aber nicht zu begreifen, was das war. Es hätte ein Haufen Steine sein können, oder ein Ektoplasma, das aus dem Weltraum herabgefallen war, aber Essen war es für sie nicht, und selbst wenn sie es als Essen erkannte, hatte sie jedenfalls nicht die Absicht, es zu sich zu nehmen. Stattdessen goss sie sich ein Glas Wein ein, das sie aber nach einem Schluck wieder absetzte. Sehr behutsam schob sie das Glas von sich fort, dann mit der anderen Hand den Teller.
Ungünstiger Zeitpunkt, sagte sie zu mir. Ich hatte gehofft, mit Ihnen reden zu können, Sie ein wenig kennenzulernen, aber es sieht nicht so aus, als ob das möglich wäre.
Dazu haben wir morgen noch Zeit, sagte ich.
Möglich, sagte sie. Aber im Augenblick denke ich nur an jetzt.
Du solltest dich hinlegen, Frieda, sagte Alma. Wann hast du das letzte Mal geschlafen?
Ich weiß nicht mehr. Vorgestern, glaube ich. Die Nacht vor deiner Abreise.
Na, jetzt bin ich wieder da, sagte Alma, und David ist auch da. Du musst nicht mehr alles alleine machen.
Muss ich nicht, sagte Frieda, und hab ich auch nicht. Die kleinen Leute haben mir sehr geholfen, aber ich muss mich zu ihm setzen, falls er reden will. Für die Zeichensprache ist er zu schwach.
Ruh dich ein bisschen aus, sagte Alma. Ich bleibe bei ihm. David und ich können das zusammen machen.
Ich hoffe, du hast nichts dagegen, sagte Frieda, aber ich würde mich besser fühlen, wenn du heute Nacht hier im Haus bleiben würdest. Professor Zimmer kann drüben in deinem Haus schlafen, aber dich hätte ich lieber oben bei mir. Nur falls was passiert. Geht das? Ich habe Conchita schon das Bett im großen Gästezimmer herrichten lassen.
Gut, sagte Alma, aber David muss nicht drüben schlafen. Er kann bei mir bleiben.
Ach?, sagte Frieda völlig überrascht. Und was sagt Professor Zimmer dazu?
Professor Zimmer heißt den Plan gut, sagte ich.
Ach?, wiederholte sie, und zum ersten Mal, seit sie die Küche betreten hatte, lächelte Frieda. Das Lächeln war mir unheimlich, ein verwundertes, ein verblüfftes Lächeln, das immer breiter wurde, je länger sie zwischen Almas und meinem Gesicht hin- und herblickte. Mein Gott, sagte sie, ihr zwei seid ja ganz schön schnell. Wer hätte das gedacht?
Niemand, wollte ich schon sagen, aber ehe ich den Mund aufbekam, klingelte das Telefon. Eine bizarre Störung, und da sie so unmittelbar auf Friedas Bemerkung folgte, schien es zwischen den beiden Ereignissen einen Zusammenhang zu geben, als habe das Telefon direkt auf diese Bemerkung reagiert. Das Klingeln verdarb die Stimmung, löschte die Heiterkeit, die sich auf ihren Zügen ausgebreitet hatte, vollkommen aus. Frieda erhob sich, und als ich sie zum Telefon gehen sah (das an der Wand neben dem offenen Durchgang hing, fünf oder sechs Schritte rechts von ihr), kam mir der Gedanke, der Zweck des Anrufs sei, ihr mitzuteilen, dass sie nicht lächeln dürfe, dass Lächeln in einem Sterbehaus nicht gestattet sei. Ein verrückter Gedanke, aber deshalb war meine Ahnung noch längst nicht verkehrt. Ich hatte gerade niemand sagen wollen, und als Frieda den Hörer abnahm und fragte, wer da sei, stellte sich heraus, das dort niemand war. Hallo, sagte sie, wer spricht dort?, und
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