Das Buch der Illusionen
eine Spur meiner selbst.
Das Abendessen bestand aus einer wahllosen Ansammlung warmer und kalter Gerichte: Linsensuppe, Salami, Käse, Salat, eine Flasche Rotwein. Es wurde von Juan und Conchita aufgetragen, diesen seltsamen kleinen Leuten, die nicht sprechen konnten. Ich will zwar nicht bestreiten, dass sie mich ein wenig aus der Fassung brachten, aber ich war doch zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt, um sie richtig wahrzunehmen. Die beiden seien Zwillinge, sagte Alma, sie arbeiteten seit über zwanzig Jahren für Hector und Frieda, seit ihrem achtzehnten Lebensjahr. Ich bemerkte die vollkommene Gestalt ihrer Miniaturkörper, ihre groben Bauerngesichter, ihr überschwängliches Lächeln und ihre offenkundige Gutmütigkeit; dennoch sah ich lieber Alma zu, wie sie in Gebärdensprache mit ihnen redete, als dass ich die beiden bei ihrer Kommunikation mit Alma beobachtete. Es faszinierte mich, wie fließend Alma mit den Händen sprach, wie sie mit wenigen schnellen Drehungen und Wendungen ihrer Finger ganze Sätze formulieren konnte, und da es Almas Finger waren, wollte ich auch nur ihnen zusehen. Schließlich war es schon spät, und bald würden wir ins Bett gehen. Trotz allem anderen, was dort auf mich einstürmte, war dies das beherrschende Thema für mich.
Erinnerst du dich an die drei mexikanischen Brüder?, fragte Alma.
Die beim Bau des ersten Hauses geholfen haben?
Die Lopez-Brüder. Es gab auch vier Mädchen in der Familie, und Juan und Conchita sind die jüngsten Kinder der dritten Schwester. Die Lopez-Brüder haben die meisten Kulissen für Hectors Filme gebaut. Sie hatten zusammen elf Söhne, und sechs oder sieben dieser Jungen hat Hector zu Filmtechnikern ausgebildet. Das war die ganze Mannschaft. Die Väter haben die Sets gebaut, und die Söhne haben die Filme eingelegt und die Kamerawagen geschoben, als Tonleute und Requisiteure, Kulissenarbeiter und Beleuchter gearbeitet. Viele Jahre lang. Ich habe mit Juan und Conchita gespielt, als wir Kinder waren. Sie waren die ersten Freunde, die ich überhaupt hatte.
Schließlich kam Frieda herunter und setzte sich zu uns an den Küchentisch. Conchita wusch gerade einen Teller ab (sie stand auf einem Fußschemel an der Spüle und arbeitete in ihrem Kinderkörper so effizient wie ein Erwachsener), und als sie Frieda bemerkte, sah sie sie fragend an, als warte sie auf Anweisungen. Frieda nickte, und Conchita legte den Teller hin, trocknete sich die Hände an einem Geschirrtuch ab und ging hinaus. Kein Wort war gefallen, und doch war klar, dass sie nach oben ging und sich zu Hector setzte, dass sie schichtweise bei ihm Wache hielten.
Ich schätzte Frieda Spelling auf neunundsiebzig Jahre. Nach Almas Beschreibung hatte ich mich auf eine grimmige alte Frau gefasst gemacht - kaltschnäuzig und einschüchternd, sozusagen überlebensgroß -, aber die Person, die sich an diesem Abend zu uns setzte, war unauffällig und schweigsam, fast reserviert in ihrem Gebaren. Kein Lippenstift, kein Make-up, nichts, was man eine Frisur hätte nennen können, und dennoch weiblich und auf eine reduzierte, körperlose Weise schön. Während ich sie betrachtete, begann ich zu spüren, dass sie einer der seltenen Menschen war, bei denen der Geist sich am Ende gegen die Materie durchsetzt. Das Alter nimmt diesen Menschen nichts. Es macht sie alt, aber es verändert sie nicht, und je länger sie leben, desto mehr und radikaler verkörpern sie sich selbst.
Verzeihen Sie das Durcheinander, Professor Zimmer, sagte sie. Sie kommen in einer schwierigen Zeit. Hector hatte einen schlimmen Vormittag, aber als ich ihm sagte, dass Sie und Alma auf dem Weg seien, wollte er unbedingt aufbleiben. Ich hoffe, das hat ihn nicht überfordert.
Wir haben uns gut unterhalten, sagte ich. Ich glaube, er ist froh, dass ich gekommen bin.
Froh ist vielleicht nicht ganz das richtige Wort, aber er empfindet tatsächlich etwas, und das sehr intensiv. Sie haben in diesem Haus für reichlich Wirbel gesorgt, Professor. Ich nehme an, Sie sind sich dessen bewusst.
Ehe ich antworten konnte, schaltete sich Alma ein und wechselte das Thema. Hast du mit Huyler gesprochen?, fragte sie. Sein Atem klingt nicht gut. Viel schlechter als gestern.
Frieda seufzte und fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht - erschöpft von Schlafmangel, Aufregung und Sorgen. Ich rufe Huyler nicht an, sagte sie (mehr zu sich selbst als zu Alma, als wiederhole sie etwas, das sie schon ein Dutzend Mal gesagt hatte), weil Huyler doch nur
Weitere Kostenlose Bücher