Das Buch der Illusionen
psychoreligiösen Kampf zwischen Verlangen und Selbstverleugnung, konnte sich wenigstens mit dem Gedanken trösten, dass sein Tun einen bestimmten Zweck verfolgte. Er machte Filme nicht, um sie zu vernichten - sondern trotzdem. Das waren zwei verschiedene Handlungen, und das Beste daran war, dass er bei der zweiten nicht anwesend zu sein brauchte. Wenn seine Filme ins Feuer wanderten, wäre er bereits tot, und es würde ihm nichts mehr ausmachen. Für Frieda mussten die beiden Handlungen jedoch ein und dieselbe gewesen sein, zwei Schritte in einem einzigen Prozess, der sich aus Erschaffen und Vernichten zusammensetzte. Die ganze Zeit über war sie dazu bestimmt gewesen, das Streichholz anzuzünden und ihr gemeinsames Werk zu
Ende zu bringen, und dieser Gedanke muss mit den Jahren in ihr gewachsen sein, bis er alles andere überwucherte. Ganz allmählich verselbstständigte sich dieser Grundsatz, und während sie weiter mit Hector an seinen Filmen arbeitete, muss sie gespürt haben, dass es bei der Arbeit längst nicht mehr darum ging, Filme zu machen. Es ging darum, etwas herzustellen, um es zu vernichten. Darin bestand die Arbeit, und solange nicht jede Spur der Arbeit vernichtet war, existierte die Arbeit gar nicht. Sie würde erst im Augenblick ihrer Vernichtung ins Dasein treten - und wenn der Rauch in den heißen Tag New Mexicos aufstiege, wäre sie wieder verschwunden.
Die Vorstellung war bedrückend, hatte aber auch etwas Schönes. Ich begriff, wie verführerisch sie auf Frieda gewirkt haben musste, und dennoch, als ich mir erlaubte, die Sache mit ihren Augen zu sehen, die ganze Gewalt dieser hinreißenden Negation nachzuempfinden, verstand ich auch, warum sie mich loswerden wollte. Meine Anwesenheit befleckte die Reinheit dieses Augenblicks. Die Filme sollten eines jungfräulichen Todes sterben, von keinem Außenstehenden gesehen. Schlimm genug, dass ich mir einen davon hatte anschauen dürfen, aber nun, da die Klauseln von Hectors Testament realisiert werden sollten, konnte sie darauf bestehen, dass die Zeremonie so durchgeführt wurde, wie sie es sich immer vorgestellt hatte. Die Filme waren im Geheimen auf die Welt gekommen und sollten nun auch im Geheimen wieder verschwinden. Fremde durften nicht zugegen sein. Zwar hatten Alma und Hector sich alle Mühe gegeben, mich in letzter Minute in den inneren Kreis zu holen, aber für Frieda war ich immer ein Fremder gewesen. Alma gehörte zur Familie, daher war sie als offizielle Zeugin zugelassen. Sie war gewissermaßen die Hofhistorikerin, und nach dem Tod des letzten Mitglieds der Generation ihrer Eltern blieben als einzige Erinnerungen an sie nur noch die in ihrem Buch. Ich hätte der Zeuge der Zeugin sein sollen, der unabhängige Beobachter, der die Genauigkeit der Aussagen der Zeugin bestätigen sollte. Eine kleine Rolle in einem so großen Drama, und selbst die hatte Frieda mir gestrichen. Für sie war ich von Anfang an überflüssig gewesen.
Ich saß in der Wanne, bis das Wasser kalt wurde, dann wickelte ich mich in ein paar Handtücher und trödelte noch zwanzig, dreißig Minuten herum - rasierte mich, zog mich an, kämmte mich. Es gefiel mir in Almas Badezimmer, in Gesellschaft der Röhrchen und Gläser, die auf den Regalen des Medizinschranks aufgereiht waren und sich auf der kleinen Holzkommode am Fenster drängten. Die rote Zahnbürste in ihrer Halterung über dem Waschbecken, die Lippenstifte in ihren goldenen Plastikhüllen, der Mascarapinsel, der Eyelinerstift, die Tamponschachtel, die Aspirintabletten, die Zahnseide, der Flakon mit Chanel No. 5, die Flasche mit dem rezeptpflichtigen antibiotischen Hautreiniger. Jeder dieser Gegenstände war etwas Intimes, ein Zeichen von Einsamkeit und intensiver Beschäftigung mit sich selbst. Sie nahm die Tabletten in den Mund, massierte sich die Cremes in die Haut, fuhr sich mit den Kämmen und Bürsten durchs Haar, und jeden Morgen kam sie in diesen Raum und stellte sich vor den Spiegel, in den jetzt ich blickte. Was wusste ich von ihr? So gut wie nichts, und doch war ich mir sicher, dass ich sie nicht verlieren wollte, dass ich dafür kämpfen würde, sie wieder zu sehen, nachdem ich am nächsten Morgen von der Ranch abgereist wäre. Mein Problem war Unwissenheit. Ich konnte nicht daran zweifeln, dass es in diesem Haus Schwierigkeiten gab, aber ich kannte Alma nicht gut genug, um das wahre Ausmaß ihrer Verärgerung über Frieda ermessen zu können, und ebendarum wusste ich auch nicht, inwieweit ich mir
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