Das Buch der Illusionen
Äußerst schade, dass wir ihn nicht noch einmal sehen können, sagte ich. Ich sei mir nicht sicher, ob ich den Wind genau genug beobachtet, ob ich den Bäumen genug Aufmerksamkeit geschenkt hätte.
Ich hatte mit meiner Quasselei offenbar viel Zeit vergeudet, denn kaum nannte Alma den Titel des nächsten Films, den wir uns ansehen würden (Bericht aus der Gegenwelt ), schlug irgendwo im Gebäude eine Tür zu. Wir standen auf - wischten uns die Krümel von den Kleidern, nahmen einen letzten Schluck Eistee aus der Thermoskanne und wollten gerade wieder hineingehen, als wir das Geräusch von Tennisschuhen auf dem Linoleumboden hörten. Sekunden später erschien Juan am Ende des Flurs, und als er - eher laufend als gehend - auf uns zutrabte, wussten wir beide, dass Frieda zurückgekommen war.
In den nächsten Minuten wurde ich wie Luft behandelt. Juan und Alma kommunizierten lautlos miteinander, besprachen sich mit fliegenden Fingern, ausholenden Armbewegungen und nachdrücklichem Nicken und Kopfschütteln. Ich verstand überhaupt nichts, bekam aber bei dieser stummen Wechselrede immerhin mit, dass Alma zunehmend ärgerlich reagierte. Die Gebärden, mit denen sie Juans Erklärungen von sich wies, wurden schroff, trotzig, fast aggressiv. Juan warf kapitulierend die Hände hoch (Ich kann nichts dafür, schien er zu sagen, ich bin doch nur der Bote), doch Alma attackierte ihn weiter, und seine Augen nahmen einen feindseligen Ausdruck an. Er schlug sich mit der Faust in die Handfläche, wandte sich um und zeigte mir mit dem Finger ins Gesicht. Das war kein Gespräch mehr. Es war ein Streit, und plötzlich ging es bei dem Streit um mich.
Ich sah den beiden zu, versuchte zu begreifen, worüber sie redeten, konnte aber den Code nicht knacken, wurde einfach nicht schlau aus ihren Gesten. Dann ging Juan, und erst als er auf seinen kurzen, stämmigen Beinen den Flur hinunterstapfte, erklärte mir Alma, was passiert war. Frieda ist vor zehn Minuten zurückgekommen, sagte sie. Sie will sofort anfangen.
Das ging ja ungeheuer schnell, sagte ich.
Hector wird erst am Nachmittag eingeäschert, um fünf Uhr. So lange wollte sie nicht in Albuquerque warten, also ist sie wieder nach Hause gefahren. Sie will die Asche morgen früh abholen.
Worüber hast du dich mit Juan gestritten? Ich habe überhaupt nichts kapiert, aber er hat mit dem Finger auf mich gezeigt. Ich mag es nicht, wenn jemand mit dem Finger auf mich zeigt.
Wir haben über dich gesprochen.
Das dachte ich mir. Aber was habe ich mit Friedas Plänen zu tun? Ich bin doch bloß zu Besuch hier.
Das hast du nicht verstanden?
Ich verstehe die Gebärdensprache nicht, Alma.
Aber du hast gesehen, dass ich wütend war.
Ja, sicher. Aber ich weiß immer noch nicht, warum.
Frieda will dich nicht dabeihaben. Das ist eine Privatangelegenheit, sagt sie, und Fremde stören da nur.
Das heißt, sie schmeißt mich raus?
Nicht direkt. Aber es läuft darauf hinaus. Sie will, dass du morgen abreist. Wenn wir morgen nach Albuquerque fahren, will sie dich am Flughafen absetzen.
Aber sie hat mich doch eingeladen. Hat sie das vergessen?
Da hat Hector noch gelebt. Jetzt ist er tot. Die Umstände haben sich geändert.
Nun, da mag sie recht haben. Ich bin hier, um mir Filme anzusehen. Und wenn es keine Filme mehr zu sehen gibt, gibt's wohl auch keinen Grund, hier zu bleiben. Einen habe ich gesehen. Jetzt kann ich zusehen, wie die anderen verbrannt werden, und dann verschwinde ich.
Genau darum geht es. Sie will nicht, dass du dabei bist. Nach dem, was Juan mir eben gesagt hat, geht dich das nichts an.
Ah. Jetzt verstehe ich, warum du so wütend warst.
Das hat nichts mit dir zu tun, David. Es geht um mich. Sie weiß, dass ich dich dabeihaben will. Wir haben heute Morgen darüber gesprochen, und jetzt hat sie ihr Versprechen gebrochen. Ich bin so sauer, dass ich ihr ins Gesicht schlagen könnte.
Und wo soll ich mich verkriechen, während ihr euer Grillfest veranstaltet?
In meinem Haus. Sie hat gesagt, du kannst so lange in meinem Haus bleiben. Aber ich rede noch mit ihr. Ich bringe sie dazu, sich das noch mal zu überlegen.
Spar dir die Mühe. Wenn sie mich nicht dabeihaben will, kann ich schlecht auf meine Rechte pochen. Es bringt nichts, Krach zu schlagen. Ich habe hier keine Rechte. Das Land gehört Frieda, und ich muss tun, was sie sagt.
Dann gehe ich auch nicht hin. Dann soll sie die verdammten Filme mit Juan und Conchita verbrennen.
Natürlich gehst du hin. Das ist das letzte
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