Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Buch der Illusionen

Das Buch der Illusionen

Titel: Das Buch der Illusionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
Vom Netzwerk:
Kapitel deines Buchs, Alma, du musst dabei sein und es mit eigenen Augen sehen. Du musst das Ende miterleben.
    Ich möchte aber, dass du auch dabei bist. Ohne dich ist mir das alles nichts wert.
    Vierzehn Filme und Negative - das wird ein gewaltiges Feuer. Viel Rauch, viel Flammen. Mit etwas Glück werde ich es von deinem Fenster aus beobachten können.
    Ich bekam das Feuer tatsächlich zu sehen, aber es war mehr Rauch als Flammen, und da die Fenster in Almas kleinem Haus offen standen, roch ich mehr, als ich sah. Das brennende Zelluloid verströmte einen beißenden chemischen Gestank, der noch lange, nachdem der Rauch sich verzogen hatte, in der Luft schwebte. Am Abend erfuhr ich von Alma, dass sie zu viert über eine Stunde dazu gebraucht hatten, die Filme aus dem unterirdischen Lagerraum zu schleppen. Dann schnallten sie die Dosen auf Handkarren und schoben sie über den felsigen Boden zu dem Gelände unmittelbar hinter dem Filmstudio. Mit Hilfe von Zeitungspapier und Kerosin machten sie in zwei Ölfässern Feuer - eins für die Filme selbst, eins für die Negative. Das ältere, nitrathaltige Material brannte wie Zunder, aber die Filme, die nach 1951 kopiert worden waren, bestanden aus widerstandsfähigerem, schlechter entflammbarem Material auf Triazetatbasis und ließen sich nur mit Mühe entzünden. Sie mussten die Filme von den Rollen spulen und einen nach dem anderen ins Feuer werfen, erzählte Alma, und das dauerte wesentlich länger, als sie erwartet hatten. Sie hatten angenommen, gegen drei Uhr fertig zu sein, tatsächlich aber schufteten sie bis sechs.
    Ich verbrachte diese Stunden allein in ihrem Haus und gab mir alle Mühe, über meinen Ausschluss keinen Groll zu empfinden. Ich hatte Alma gegenüber gute Miene gemacht, in Wahrheit aber war ich genauso wütend wie sie. Friedas Verhalten war unverzeihlich. Man lädt nicht jemanden zu sich ein, und wenn er dann da ist, lädt man ihn wieder aus. Und wenn doch, gibt man wenigstens eine Erklärung ab, und zwar nicht über einen taubstummen Dienstboten, der es wiederum jemand anderem sagt und einem dabei mit dem Finger ins Gesicht zeigt. Natürlich war Frieda verzweifelt, natürlich war dies ein schlimmer Tag für sie, voller Ängste und Zukunftssorgen, aber sosehr ich sie zu rechtfertigen versuchte, ich musste mich einfach verletzt fühlen. Was sollte ich dort? Warum hatte man Alma nach Vermont geschickt, um mich mit Waffengewalt zu holen, wenn man mich dann doch nicht sehen wollte? Immer-hin hatte Frieda die Briefe geschrieben. Sie war es, die mich gebeten hatte, nach New Mexico zu kommen und mir die Filme anzusehen. Alma zufolge hatte sie Monate gebraucht, die beiden dazu zu überreden, mich einzuladen. Ich hatte angenommen, Hector habe sich dagegen gesträubt, und Alma und Frieda hätten ihn schließlich dazu überredet. Jetzt, nach achtzehn Stunden auf der Ranch, kam mir allmählich der Verdacht, dass ich mich geirrt hatte.
    Wäre man nicht so beleidigend mit mir umgesprungen, hätte ich wahrscheinlich nicht weiter über die Sache nachgedacht. Nach unserem Gespräch im Postproduktions-Gebäude packten Alma und ich die Reste unseres Essens zusammen und gingen zu ihrem Lehmziegelhaus, das auf einer kleinen Anhöhe etwa dreihundert Meter vom Haupthaus stand. Alma öffnete die Tür - und was erblicken wir unmittelbar hinter der Schwelle? Meine Reisetasche. Ich hatte sie am Morgen im Gästezimmer des anderen Hauses gelassen, und nun hatte sie jemand (Conchita vermutlich) auf Friedas Anweisung hierher getragen und auf den Boden gestellt. Ich empfand das als arrogante, herrische Geste. Wieder tat ich, als ginge ich mit einem Lachen darüber hinweg (Immerhin, sagte ich, erspart mir das die Mühe, die Tasche selbst zu holen), doch unter dieser flapsigen Bemerkung kochte ich vor Wut. Alma ging zu den anderen, und in den nächsten fünfzehn, zwanzig Minuten streifte ich im Haus umher, von einem Zimmer ins andere, und versuchte meinen Zorn zu beschwichtigen. Bald hörte ich in der Ferne das Rattern der Handkarren, das Scharren von Metall auf Stein, das Klappern der aufgestapelten Filmdosen, die gelegentlich aneinanderstießen. Das Autodafé stand kurz bevor. Ich ging ins Bad, stieg aus den Kleidern und drehte beide Wasserhähne der Wanne voll auf.
    Während ich im warmen Wasser einweichte, ließ ich die Gedanken treiben und zählte mir bedächtig die Tatsachen auf, wie ich sie interpretierte. Dann drehte ich sie um und betrachtete sie aus einem anderen Blickwinkel,

Weitere Kostenlose Bücher