Das Buch der Illusionen
versuchte diese Tatsachen mit den Ereignissen der vergangenen Stunde in Einklang zu bringen: Juans aggressiver Dialog mit Alma, Almas heftige Reaktion auf Friedas Botschaft (Sie hat ihr Versprechen gebrochen... ich könnte ihr ins Gesicht schlagen) , meine Verbannung von der Ranch. Es war reine Spekulation, doch als ich an den vorigen Abend dachte (wie freundlich Hector mich begrüßt hatte, wie sehr ihm daran gelegen gewesen war, mir seine Filme zu zeigen) und das alles mit dem verglich, was sich seither ereignet hatte, begann ich mich zu fragen, ob Frieda nicht von Anfang an gegen meinen Besuch gewesen sein mochte. Ich vergaß nicht, dass sie selbst mich nach Tierra del Sueño eingeladen hatte, aber vielleicht hatte sie diese Briefe wider bessere Einsicht geschrieben und dem Drängen Hectors erst nach monatelangen Streitigkeiten und Meinungsverschiedenheiten nachgegeben. Wenn dem so war, dann stellte es keinen plötzlichen Sinneswandel dar, dass sie mich von ihrem Grund und Boden gewiesen hatte. Dann war dies nur etwas, das sie nun, da Hector tot war, ungestraft tun konnte.
Bis dahin hatte ich die beiden für gleichberechtigte Partner gehalten. Alma hatte mir ausführlich von ihrer Ehe erzählt, und nicht ein einziges Mal war mir der Gedanke gekommen, dass sie verschiedene Motive gehabt haben könnten, dass ihr Denken nicht vollkommen harmonisch gewesen wäre. 1939 hatten sie einen Pakt geschlossen: Sie wollten Filme produzieren, die niemals öffentlich gezeigt würden, und beide hatten sich die Idee zu eigen gemacht, dass ihr gemeinsam geschaffenes Werk letztlich vernichtet werden sollte. Das war Hectors Bedingung für die Rückkehr zur Filmemacherei gewesen. Ein brutales Reglement, und dennoch, nur wenn er das eine opferte, das seiner Arbeit einen Sinn gegeben hatte - das Vergnügen, sie mit anderen zu teilen -, konnte er seine Entscheidung rechtfertigen, diese Arbeit überhaupt zu tun. Die Filme waren also eine Form der Buße, das Eingeständnis, dass seine Rolle bei dem, wenngleich unabsichtlichen, Mord an Brigid O'Fallon eine Sünde war, für die er niemals Vergebung erlangen konnte. Ich bin eine lächerliche Figur. Gott hat mir manchen Streich gespielt . Eine Form der Strafe war durch eine andere ersetzt worden, und in der wirren, selbstquälerischen Logik seiner Entscheidung hatte Hector seine Schuld weiterhin bei einem Gott abgetragen, an den er nicht glaubte. Die Kugel, die ihm in der Bank in Sandusky die Brust aufriss, hatte es ihm möglich gemacht, Frieda zu heiraten. Der Tod seines Sohnes hatte es ihm möglich gemacht, zum Filmemachen zurückzukehren. Beides jedoch hatte ihn nicht von seiner Verantwortung für die Geschehnisse in der Nacht des 14. Januar 1929 freigesprochen. Weder die körperlichen Schmerzen durch Knox' Kugel noch die seelischen durch Taddys Tod waren grausam genug, ihn zu erlösen. Mach Filme, ja. Nimm dazu all deine Talente und Kräfte zusammen. Mach sie, als hinge dein Leben davon ab, und wenn dein Leben vorbei ist, sorg dafür, dass sie vernichtet werden. Du darfst nicht die geringste Spur hinterlassen.
Frieda hatte das alles mitgemacht, aber für sie konnte es nicht das Gleiche gewesen sein. Sie hatte kein Verbrechen begangen; sie litt nicht unter der Last eines schlechten Gewissens; sie plagte nicht die Erinnerung, ein totes Mädchen in den Kofferraum eines Autos gelegt und die Leiche in den Bergen Kaliforniens begraben zu haben. Frieda war unschuldig, und doch akzeptierte sie Hectors Bedingungen und opferte ihre eigenen Ziele, um sich der Erschaffung eines Werks zu widmen, dessen Hauptzweck seine Vernichtung war. Es wäre mir verständlich gewesen, wenn sie aus der Ferne zugesehen hätte - sich womöglich in Hectors Obsessionen gefügt und ihn in seinem Wahn bemitleidet, sich jedoch geweigert hätte, selbst ins Räderwerk dieses Unternehmens eingespannt zu werden. Aber Frieda war seine Komplizin, seine treueste Verteidigerin, und sie war von Anfang an voll und ganz beteiligt. Nicht nur überredete sie Hector, wieder Filme zu machen (und drohte, ihn andernfalls zu verlassen), sondern sie gab ja auch ihr Geld für diese Projekte her. Sie nähte Kostüme, zeichnete Storyboards, arbeitete am Schnitt, entwarf Kulissen. So viel Arbeit investiert man nur, wenn einem etwas Freude macht, wenn man das Gefühl hat, dass die Mühen etwas wert sind - aber was für eine Freude konnte es ihr gemacht haben, all diese Jahre im Dienst an einem Nichts zu verbringen? Hector, gefangen in seinem
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