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Das Buch der Illusionen

Das Buch der Illusionen

Titel: Das Buch der Illusionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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töten. Er wurde einfach ausgelöscht.
    Es ist das erste und einzige Mal, dass Hector einen reichen Mann spielt. In Ein Niemand besitzt er alles, was ein Mensch sich nur wünschen kann: eine schöne Frau, zwei kleine Kinder, ein riesiges Haus mit einem ganzen Stab von Angestellten. In der ersten Szene sitzt Hector beim Frühstück mit seiner Familie. Von einigen brillanten Slapstick-Motiven abgesehen - widerspenstige Butter auf einem Stück Toast, eine Wespe im Marmeladenglas -, dient diese Szene nur dem Zweck, uns ein Bild des Glücks zu zeigen. Wir werden auf die Verluste vorbereitet, die es bald geben wird, und ohne diesen Blick in Hectors Privatleben (perfekte Ehe, perfekte Kinder, häusliche Harmonie in ihrer romantischsten Form) würde das dann eintretende Unglück nicht so stark auf uns wirken. So aber trifft uns, was Hector widerfährt, wie ein Hammerschlag. Er gibt seiner Frau einen Abschiedskuss, und kaum dreht er sich um und geht aus dem Haus, stürzt er kopfüber in einen Albtraum.
    Hector ist Gründer und Direktor einer erfolgreichen Limonadefabrik, der Fizzy Pop Beverage Corporation. Chase ist sein Vizedirektor und Berater, sein vermeintlich bester Freund. Aber Chase hat enorme Spielschulden angesammelt und wird von Kredithaien verfolgt, die ihn zu vernichten drohen, falls er nicht zahlt. Als Hector morgens ins Büro kommt und seine Angestellten begrüßt, spricht Chase in einem anderen Zimmer mit zwei finsteren Gestalten. Keine Sorge, sagt er. Ende der Woche bekommen Sie das Geld. Bis dahin habe ich die Firma unter Kontrolle, und da stecken Millionen drin. Die Gangster erklären sich bereit, ihm noch ein wenig Zeit zu lassen. Aber das ist deine letzte Chance, sagen sie. Noch eine einzige Verzögerung, und du schwimmst mit den Fischen im Fluss. Die Männer trampeln davon. Chase wischt sich den Schweiß von der Stirn und stöhnt. Dann nimmt er einen Brief aus der oberen Schublade seines Schreibtischs. Er überfliegt ihn kurz und macht ein sehr zufriedenes Gesicht. Mit bösem Grinsen faltet er ihn zusammen und lässt ihn in seiner Brusttasche verschwinden. Offenbar ist da schon etwas im Gange, aber was, das können wir noch nicht wissen.
    Schnitt in Hectors Büro. Chase tritt ein, er hat etwas in der Hand, das wie eine große Thermoskanne aussieht, und fragt Hector, ob er einmal die neue Geschmacksrichtung probieren möchte. Wie heißt sie?, fragt Hector. Jazzmatazz, antwortet Chase, und Hector nickt beifällig, beeindruckt vom mitreißenden Klang dieses Namens. Arglos lässt er sich von Chase eine ordentliche Portion des neuen Gebräus einschenken. Als Hector das Glas entgegennimmt, beobachtet ihn Chase mit lauernden Blicken; er kann es kaum erwarten, dass der böse Trank seine Wirkung tut. Hector hebt in der Halbtotalen das Glas an den Mund und nimmt vorsichtig einen kleinen Schluck. Er rümpft missbilligend die Nase, seine Augen weiten sich, der Schnurrbart zuckt hin und her. Das Ganze wirkt nur komisch, und doch, als Chase ihn drängt und Hector das Glas für einen zweiten Versuch an die Lippen hebt, verdichtet sich der Eindruck, dass mit diesem Jazzmatazz etwas nicht stimmen kann. Hector nimmt noch einen Probeschluck. Er schmatzt, sieht Chase lächelnd an und schüttelt den Kopf, als wolle er andeuten, dass der Geschmack nicht ganz optimal sei. Chase ignoriert die Kritik seines Chefs, sieht auf die Uhr, spreizt die Finger der rechten Hand und zählt von eins bis fünf die Sekunden mit. Hector ist verblüfft. Aber noch ehe er ein Wort sagen kann, ist Chase bei der fünften und letzten Sekunde angekommen, und Hector kippt einfach so, ohne jede Vorwarnung, auf seinem Stuhl nach vorn und schlägt mit dem Kopf auf die Schreibtischplatte. Noch glauben wir, das Getränk habe ihn betäubt, er sei für kurze Zeit bewusstlos, doch während Chase ihn mit leerem, mitleidlosem Blick beobachtet, beginnt Hector zu verschwinden. Als Erstes verblassen seine Arme, langsam, bis sie nicht mehr zu sehen sind; dann der Oberkörper, schließlich der Kopf. Ein Körperteil nach dem anderen, und am Ende hat er sich vollständig in nichts aufgelöst. Chase schreitet aus dem Zimmer und schließt die Tür hinter sich. Auf dem Flur bleibt er stehen, um seinen Triumph auszukosten; er lehnt sich mit dem Rücken an die Tür und lächelt. Dazu wird der Text eingeblendet: Tschüs Hector. War nett, dich gekannt zu haben.
    Chase geht. Als er das Bild verlassen hat, verweilt die Kamera noch ein, zwei Sekunden auf der Tür und fährt dann

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