Das Buch der Illusionen
Nebenzimmer auf ihn warten. Pech für Hector natürlich, aber so ist das nun mal. Wichtig ist nicht, wie gut man Schwierigkeiten aus dem Weg gehen kann, sondern wie man mit ihnen fertig wird, wenn sie einen ereilen.
Ziemlich oft findet sich Hector am unteren Ende der gesellschaftlichen Leiter. In nur zweien seiner Filme ist er verheiratet (Heim und Herd und Ein Niemand), und abgesehen von dem Privatdetektiv, den er in Der Schnüffler spielt, und seiner Rolle als reisender Zauberer in Cowboys ist er stets nur ein stures Arbeitstier, das sich in einfachen, schlecht bezahlten Jobs für andere abschuftet. Ob als Kellner in Der Jockeyclub, als Chauffeur in Wochenende auf dem Lande, als Handelsvertreter in Hampelmänner, als Tanzlehrer in Wilder Tango oder als Bankangestellter in Der Kassierer, stets wird Hector als ein junger Mann gezeigt, der soeben ins Leben hinaustritt. Seine Aussichten sind alles andere als ermutigend, aber nie vermittelt er den Eindruck, er sei ein Verlierertyp. Dazu ist seine Haltung viel zu stolz, und wenn man sieht, wie er mit dem gelassenen Selbstvertrauen eines Mannes, der auf seine Fähigkeiten bauen kann, an die Arbeit geht, dann begreift man, dass er eines Tages Erfolg haben muss. Demgemäß enden die meisten von Hectors Filmen so: Entweder er kriegt das Mädchen, oder er vollbringt irgendeine Heldentat, und sein Boss wird auf ihn aufmerksam. Und wenn der Boss ein Dummkopf ist und nichts mitbekommt (die Reichen und Mächtigen werden meist als Narren dargestellt), dann sieht wenigstens das Mädchen, was er tut, und das reicht ihm als Belohnung. Wann immer er sich zwischen Liebe und Geld entscheiden muss, hat die Liebe das letzte Wort. Als Kellner in Der Jockeyclub zum Beispiel bringt Hector es fertig, einen Juwelendieb zu schnappen, während er bei einem Festessen zu Ehren der Meisterfliegerin Wanda McNoon mehrere Tische mit betrunkenen Gästen bedient. Mit einer Champagnerflasche in der Linken schlägt er den Dieb k. o. zugleich stellt er mit der Rechten das Dessert auf den Tisch; und da der Korken aus der Flasche fliegt und der Oberkellner mit einem Liter Veuve Clicquot bespritzt wird, verliert Hector seinen Job. Aber das macht nichts. Die temperamentvolle Wanda hat Hectors Kunststück wahrgenommen. Sie steckt ihm ihre Telefonnummer zu, und in der letzten Szene steigen die beiden zusammen in ihr Flugzeug und entschwinden in den Wolken.
Unvorhersehbar in seinem Verhalten, voller widersprüchlicher Antriebe und Wünsche, ist Hectors Charakter zu komplex, als dass uns in seiner Gegenwart ganz und gar behaglich zumute sein kann. Er entspricht keinem Typus, keiner vertrauten Rolle, und für jede seiner Handlungen, die wir nachvollziehen können, gibt es eine andere, die uns verwirrt und aus dem Gleichgewicht bringt. Er offenbart den ganzen erbitterten Ehrgeiz eines arbeitsamen Einwanderers, eines Mannes, der entschlossen ist, alle Hindernisse zu überwinden und sich im amerikanischen Dschungel seinen Platz zu erobern, und doch genügt ein einziger Blick einer schönen Frau, ihn aus der Bahn zu werfen, seine sorgsam geschmiedeten Pläne in alle Winde zu zerstreuen. Hectors Persönlichkeit ist in jedem Film die gleiche, aber es gibt keine feste Hierarchie seiner Vorlieben: Nie kann man ahnen, was ihm als Nächstes in den Sinn kommen mag. Er ist Populist und Aristokrat, er ist sinnlich und verkappt romantisch, ein Mann mit akkuraten, geradezu pedantischen Manieren, der nie vor großen Gesten zurückschreckt. Er schenkt seinen letzten Cent einem Bettler auf der Straße, doch was ihn dazu bewegt, ist weder Mitleid noch Mitgefühl, sondern viel eher die Poesie, die in dieser Handlung steckt. So hart er arbeitet, so fleißig er die niedrigen und oft absurden Aufgaben erledigt, die man ihm aufträgt, stets vermittelt Hector ein Gefühl von Distanziert-heit, als ob er sich irgendwie selbst verhöhnen und sich gleichzeitig dazu gratulieren würde. Er scheint in einem Zustand ironischer Belustigung zu leben, in der Welt engagiert und zugleich als ihr Beobachter aus weiter Ferne. In seinem vielleicht komischsten Film, Der Requisiteur, verschmilzt er diese gegensätzlichen Blickpunkte zu einem einheitlichen Prinzip des Chaos. In diesem neunten seiner Kurzfilme spielt Hector den Inspizienten einer kleinen, heruntergekommenen Theatertruppe. Die Gesellschaft kommt für ein dreitägiges Gastspiel in die Ortschaft Wishbone Falls, um Bettler können nicht wählerisch sein aufzuführen, einen Schlafzimmerschwank
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