Das Buch der Illusionen
Revisionen und Korrekturarbeiten hinzugerechnet, und ich konnte das fertige Manuskript in weniger als einem Jahr an Alex abschicken.
Wie sich herausstellte, dauerte dieses Jahr nur drei Monate. Ich kam noch einmal zweihundertfünfzig Seiten weiter, bis zu dem Kapitel über den Niedergang Napoleons im dreiundzwanzigsten Buch (Leiden und Wunder sind Zwillinge, sie werden zusammen geboren), und dann fand ich eines feuchten, stürmischen Frühsommernachmittags Frieda Spellings Brief im Briefkasten. Ich gebe zu, anfangs war ich ratlos, aber nachdem ich meine Antwort abgeschickt und ein wenig über die Sache nachgedacht hatte, war ich so weit zu glauben, dass es sich um einen üblen Scherz handelte. Dass ich auf den Brief geantwortet hatte, war sicher nicht falsch gewesen, aber nun, da dieser Verpflichtung Genüge getan war, musste ich annehmen, damit sei unsere Korrespondenz beendet.
Neun Tage später meldete sie sich wieder. Diesmal benutzte sie ein ganzes Blatt Papier; oben war in blauen Lettern ihre Adresse eingeprägt. Mir war schon klar, wie einfach es ist, falsches persönliches Briefpapier herzustellen, aber warum sollte ein Mensch sich die Mühe machen, sich als jemand auszugeben, von dem ich noch nie gehört hatte? Der Name Frieda Spelling sagte mir nichts. Sie konnte Hector Manns Frau sein, sie konnte auch irgendeine Verrückte sein, die allein in einer Hütte in der Wüste lebte; aber daran zu zweifeln, dass sie tatsächlich existierte, hatte jetzt keinen Sinn mehr.
Sehr geehrter Professor, schrieb sie. Ihre Zweifel sind durchaus verständlich, und es überrascht mich keineswegs, dass Sie mir nicht so recht glauben wollen. Um die Wahrheit herauszufinden, haben Sie nur eine Möglichkeit: Nehmen Sie die Einladung an, die ich in meinem letzten Brief ausgesprochen habe. Fliegen Sie nach Tierra del Sueño und lernen Sie Hector kennen. Wenn ich Ihnen sage, dass er eine Reihe von Spielfilmen geschrieben und produziert hat, nachdem er 1929 aus Hollywood fortgegangen war, und dass er bereit ist, sie Ihnen hier auf der Ranch vorzuführen - könnte Sie das nicht reizen, uns hier zu besuchen? Hector ist fast neunzig Jahre alt und nicht mehr ganz gesund. Er hat in seinem Testament bestimmt, dass ich die Filme und die Negative dieser Filme binnen vierundzwanzig Stunden nach seinem Tod zu vernichten habe, und ich weiß nicht, wie lange er noch durchhalten wird. Bitte melden Sie sich bald. Ich freue mich auf Ihre Antwort und verbleibe mit der größten Hochachtung. Ihre Frieda Spelling (Mrs. Hector Mann).
Auch diesmal ließ ich mich nicht zu vorschnellen Schlüssen hinreißen. Ich antwortete knapp, förmlich und vielleicht sogar ein wenig unhöflich, aber bevor ich mich auf irgendetwas festlegte, musste ich erst einmal wissen, ob ich ihr trauen konnte. Ich möchte Ihnen glauben, schrieb ich, aber ich brauche Beweise. Wenn ich die weite Reise nach New Mexico wirklich unternehmen soll, muss ich wissen, dass Ihre Behauptungen glaubhaft sind und dass Hector Mann tatsächlich noch lebt. Sobald meine Zweifel ausgeräumt sind, werde ich Sie auf der Ranch besuchen. Aber ich muss Sie darauf hinweisen, dass ich nicht mit dem Flugzeug reise. Hochachtungsvoll, D. Z.
Es stand außer Frage, dass sie sich wieder melden würde - es sei denn, ich hatte sie abgeschreckt. In diesem Fall würde sie stillschweigend eingestehen, dass sie mich getäuscht hatte, und damit wäre die Geschichte aus. Daran glaubte ich zwar nicht, aber was auch immer sie im Schilde fuhren mochte, ich würde die Wahrheit jedenfalls bald erfahren. In ihrem zweiten Brief hatte sie einen drängenden, fast flehenden Ton angeschlagen, und wenn sie wirklich die war, für die sie sich ausgab, würde sie mit der Antwort nicht lange auf sich warten lassen. Schwieg sie, käme das dem Eingeständnis gleich, dass ich ihre Täuschung durchschaut hatte; antwortete sie - und nichts anderes erwartete ich -, dann mit Sicherheit bald. Ihre letzte Antwort war nach neun Tagen bei mir eingetroffen. Wenn nichts dazwischenkam (keine Verzögerungen, keine Schlamperei der Post), rechnete ich damit, dass die nächste noch schneller kommen würde.
Ich tat mein Bestes, ruhig zu bleiben, den gewohnten Rhythmus beizubehalten und mit den Mémoires voranzukommen, aber vergebens. Ich war zu abgelenkt, zu gespannt, um mich richtig konzentrieren zu können, und nachdem ich mich einige Tage lang nur mühsam durch mein Pensum gequält hatte, beschloss ich, eine Pause einzulegen. Am nächsten Morgen
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