Das Buch der Illusionen
du dich eigentlich?
Zum Glück war auch Mary unter den Leuten, die in der Tür standen, und ehe ich weiteren Schaden anrichten konnte, stürzte sie ins Zimmer und packte mich am Arm.
David hat es nicht so gemeint, sagte sie zu Karin. Oder, David? So was kann einem doch schon mal rausrutschen.
Ich wollte ihr in scharfem Ton widersprechen, irgendwie beweisen, dass ich es ganz genau so gemeint hatte, hielt mich aber zurück. Ich brauchte meine ganze Selbstbeherrschung, um das zu tun, aber Mary hatte sich als Friedensstifterin große Mühe gegeben, und im Innersten war mir bewusst, dass ich es bereuen würde, wenn ich ihr noch größeren Ärger machte. Trotzdem entschuldigte ich mich nicht, und ich versuchte auch nicht, auf nett umzuschalten. Statt zu sagen, was ich eigentlich sagen wollte, wand ich meinen Arm aus ihrem Griff und durchquerte unter den Blicken meiner schweigenden Ex-Kollegen das Wohnzimmer.
Ich ging gleich weiter die Treppe hinauf zu Gregs und Marys Schlafzimmer. Eigentlich wollte ich meine Sachen nehmen und verschwinden, aber mein Parka lag irgendwo unter einem riesigen Mantelberg auf dem Bett, und ich konnte ihn nicht finden. Nachdem ich eine Weile herumgewühlt hatte, begann ich die Mäntel auf den Boden zu werfen, um so die Sucherei etwas zu vereinfachen. Gerade als ich die Hälfte geschafft hatte - mehr Mäntel auf dem Boden als auf dem Bett - , kam Mary ins Zimmer. Sie war eine kleine Frau mit rundem Gesicht, gekräuselten blonden Haaren und rötlichen Wangen, und als sie in der Tür erschien und die Hände in die Hüfte stemmte, war mir sofort klar, dass sie die Schnauze voll von mir hatte. Ich fühlte mich wie ein Kind, das gleich von seiner Mutter ausgeschimpft wird.
Was machst du da?, sagte sie.
Meinen Mantel suchen.
Der ist unten in der Garderobe. Schon vergessen?
Ich dachte, er wäre hier.
Er ist unten. Greg hat ihn in die Garderobe gehängt, als du gekommen bist. Du hast ihm sogar einen Bügel rausgesucht.
Na schön, dann seh ich eben unten nach.
Aber so leicht wollte Mary mich nicht davonkommen lassen. Sie rückte noch ein paar Schritte ins Zimmer vor, bückte sich nach einem Mantel und schmiss ihn wütend aufs Bett. Dann hob sie noch einen Mantel auf und warf ihn ebenfalls aufs Bett. Dann sammelte sie die anderen Mäntel auf, und jedes Mal wenn sie einen aufs Bett schleuderte, unterbrach sie sich mitten im Satz. Die Mäntel waren wie Satzzeichen - jähe Gedankenstriche, hastige Punkte, heftige Ausrufezeichen -, und jedes schnitt durch ihre Rede wie eine Axt.
Wenn du nach unten gehst, sagte sie, möchte ich, dass du... dich mit Karin wieder verträgst... und wenn du vor ihr auf die Knie fallen. und sie um Vergebung anflehen musst. Alle reden davon. und wenn du das mir zuliebe nicht auf der Stelle tust, David. werde ich dich nie wieder in dieses Haus einladen.
Ich wollte ja eigentlich sowieso nicht kommen, antwortete ich. Wenn ihr mich nicht so gedrängt hättet, wäre ich nie hier aufgetaucht, um eure Gäste zu beleidigen. Dann wäre es genau so eine öde, langweilige Party wie immer geworden.
Du brauchst Hilfe, David... Ich weiß sehr wohl, was du durchgemacht hast. aber Geduld hält auch nicht ewig. Geh zum Arzt, bevor du dir dein Leben kaputtmachst.
Ich führe das Leben, das mir möglich ist. Und Partys in deinem Haus gehören nun mal nicht dazu.
Mary warf den letzten Mantel aufs Bett, und dann setzte sie sich plötzlich ohne erkennbaren Grund hin und brach in Tränen aus.
Hör zu, du Scheißkerl, sagte sie mit leiser Stimme. Ich habe sie auch sehr gern gehabt. Du magst mit ihr verheiratet gewesen sein, aber Helen war meine beste Freundin.
Nein, das war sie nicht. Sie war meine beste Freundin. Und ich war ihr bester Freund. Mit dir hat das nichts zu tun, Mary.
Das machte dem Gespräch ein Ende. Ich war so hart zu ihr gewesen, hatte so stur gegen ihre Gefühle gemauert, dass ihr nichts mehr dazu einfiel. Als ich aus dem Zimmer ging, saß sie kopfschüttelnd mit dem Rücken zu mir und starrte die Mäntel an.
Zwei Tage nach der Party wurde mir von der University of Columbia Press mitgeteilt, dass sie mein Buch veröffentlichen wollten. Inzwischen lagen fast hundert Seiten der Chateaubriand-Übersetzung hinter mir, und als ein Jahr später Die stumme Welt des Hector Mann erschien, hatte ich weitere zwölfhundert Seiten geschafft. Wenn ich in diesem Tempo weitergemacht hätte, wäre ich mit der Rohfassung in sieben bis acht Monaten fertig gewesen. Noch etwas Zeit für
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