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Das Buch der Illusionen

Das Buch der Illusionen

Titel: Das Buch der Illusionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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Ankunft in Kalifornien gehabt hatte (Hilfskellner, Staubsaugervertreter, Grabenbauer), erwähnt er mit keinem Wort irgendwelche früheren Tätigkeiten im Showgeschäft. So viel zu der großartigen Karriere in Lateinamerika, die ihn allseits bekannt gemacht hatte.
    Es fällt leicht, die Übertreibungen von Hunts Werbeleuten als belanglos abzutun, aber nur weil sie die Fakten ignoriert haben, muss der Artikel in Photoplay nicht unbedingt genauer oder glaubhafter gewesen sein. In der Märzausgabe von The Picturegoer schildert ein Journalist namens Randall Simms einen Besuch der Dreharbeiten zu Wilder Tango und gibt sich völlig erstaunt, als er vernimmt, dass diese argentinische Lachmaschine ein tadelloses Englisch spricht - von einem Akzent ist kaum etwas zu hören. Wenn man nicht wüsste, wo er herkommt, könnte man schwören, er sei in Sandusky, Ohio, aufgewachsen. Simms meint das als Kompliment, aber seine Bemerkung wirft beunruhigende Fragen über Hectors Herkunft auf. Selbst wenn man Argentinien als das Land akzeptiert, in dem er seine Kindheit verbracht hat, scheint er viel früher nach Amerika gekommen zu sein, als man aus den anderen Artikeln schließen muss. Im nächsten Absatz wird Hector von Simms wie folgt zitiert: Ich war ein sehr schlechter Junge. Als ich sechzehn war, haben meine Eltern mich rausgeschmissen, und ich habe nie einen Blick zurückgeworfen. Schließlich bin ich nach Norden gegangen und in Amerika gelandet. Von Anfang an hatte ich nur einen einzigen Gedanken im Kopf: beim Film groß rauszukommen. Der Mann, der diese Worte spricht, hat keinerlei Ähnlichkeit mit dem
    Mann, der einen Monat zuvor von Brigid O"Fallon interviewt wurde. Hatte er den starken Akzent für Photoplay als Gag angenommen, oder verfälschte Simms vorsätzlich die Wahrheit und hob Hectors exzellentes Englisch so auffällig hervor, um die Produzenten davon zu überzeugen, dass er in Zukunft auch als Darsteller im Tonfilm reüssieren könne? Vielleicht hatten die beiden den Artikel gemeinsam ausgeheckt, vielleicht hatte Simms von dritter Seite Geld dafür bekommen - womöglich von Hunt, der inzwischen tief in Finanzschwierigkeiten steckte. Konnte es sein, dass Hunt versuchte, Hectors Marktwert zu steigern, weil er ihn an eine andere Produktionsgesellschaft verkaufen wollte? Unmöglich, das festzustellen, aber welche Motive Simms auch hatte und wie schlecht O"Fallon Hectors Darlegungen auch wiedergegeben haben mag, die Artikel sind nicht in Übereinstimmung zu bringen, ganz gleich, was man den beiden Journalisten zugute halten will.
    Hectors letztes publiziertes Interview erschien in der Oktoberausgabe von Picture Play. Folgt man dem, was er zu B. T Barker sagte - beziehungsweise dem, von dem Barker uns glauben machen möchte, dass Hector es gesagt habe -, dann spricht einiges dafür, dass unser Kandidat selbst zu all dieser Verwirrung beigetragen hat. Diesmal stammen seine Eltern aus Stanislaw, einem Ort im äußersten Osten des österreichisch-ungarischen Kaiserreichs, und Hectors erste Sprache ist Polnisch, nicht Deutsch. Als er zwei Jahre alt ist, gehen sie nach Wien, bleiben dort sechs Monate und übersiedeln dann nach Amerika, wo sie drei Jahre in New York und ein Jahr im Mittleren Westen verbringen, bevor sie wieder die Zelte abbrechen und sich in Buenos Aires niederlassen. Auf Barkers Zwischenfrage, wo genau sie im Mittleren Westen gelebt hätten, erwidert Hector gelassen: in Sandusky, Ohio. Nur sechs Monate zuvor hatte Randall Simms in seinem Artikel für The Picturegoer den Namen Sandusky erwähnt - und zwar nicht als realen Ort, sondern als Metapher für eine typische amerikanische Kleinstadt. Nun eignet Hector sich diese Stadt an und baut sie in seine Geschichte ein, vielleicht nur aus dem Grund, dass ihm der raue Ton dieses Namens angenehm über die Lippen geht. Sandusky, Ohio, hat einen angenehm sonoren Klang, und die Eleganz der dreifachen Synkope kommt mit der ganzen Wucht und Präzision einer gedrechselten Gedichtzeile daher. Sein Vater, sagt er, war Ingenieur, ein Spezialist für Brückenbau. Seine Mutter, die schönste Frau der Welt, war Tänzerin, Sängerin und Malerin. Hector habe sie beide verehrt, er sei ein frommer, braver kleiner Junge gewesen (im Gegensatz zu dem schlechten Jungen in Simms" Artikel), und bis seine Eltern, als er vierzehn war, bei einem tragischen Schiffsunfall ums Leben gekommen seien, habe er in die Fußstapfen seines Vaters treten und Bauingenieur werden wollen. Der plötzliche

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