Das Buch der Illusionen
Das war eine völlig spontane Idee, ein plötzlicher Einfall, als ich auf dem Parkplatz stand und schwitzend in die Nachmittagssonne blinzelte. Mein Tagespensum hatte ich bereits erledigt, und es gab keinen Grund, meine Pläne nicht einfach zu ändern, keinen Grund, nach Hause zurückzufahren, wenn ich dazu noch keine Lust hatte. Als ich zum Latches Theatre an der Main Street kam, fing gerade die Vorschau für die Sechsuhrvorstellung an. Ich kaufte mir eine Cola und eine Tüte Popcorn, setzte mich in die Mitte der letzten Reihe und ließ einen Teil der Zurück in die Zukunft-Reihe über mich ergehen. Ich fand ihn ebenso lachhaft wie unterhaltsam. Danach beschloss ich, meinen Ausflug noch etwas zu verlängern und in dem koreanischen Restaurant auf der anderen Straßenseite essen zu gehen. Ich hatte dort schon einmal gegessen, und für Vermonter Verhältnisse war die Küche gar nicht mal so übel.
Ich hatte zwei Stunden lang im Dunkeln gesessen, und als ich aus dem Kino kam, war das Wetter umgeschlagen.
Wieder so ein plötzlicher Wechsel: Wolken wälzten sich heran, die Temperatur fiel auf zehn Grad, Wind kam auf. Nach einem Tag strahlenden Sonnenscheins hätte der Himmel um diese Zeit noch ein wenig hell sein können, aber die Sonne hatte sich schon vor Einbruch der Dämmerung verzogen, und der lange Sommertag war in einen feuchten, kühlen Abend übergegangen. Als ich die Straße überquerte und das Restaurant betrat, regnete es bereits; ich nahm an einem der vorderen Tische Platz, bestellte mein Essen und sah zu, wie draußen der Sturm an Kraft gewann. Eine Papiertüte wurde aufgewirbelt und klatschte ans Schaufenster von Sam's Army-Navy-Store; eine leere Limodose fegte klappernd die Straße zum Fluss hinunter; fette Regentropfen platzten auf dem Gehsteig. Als Vorspeise aß ich Kimchi, nach jedem zweiten Bissen nahm ich einen Schluck Bier. Das Zeug war scharf und brannte auf der Zunge, und als ich zum Hauptgericht kam, tunkte ich das Fleisch ebenfalls in die scharfe Soße - was zur Folge hatte, dass ich noch mehr Bier trank. Insgesamt müssen es drei, vielleicht vier Flaschen gewesen sein, und als ich die Rechnung bezahlte, war ich ein bisschen betrunkener, als ich hätte sein dürfen. Nüchtern genug, um noch geradeaus zu gehen, nehme ich an, nüchtern genug für manch klaren Gedanken an meine Übersetzung, aber wahrscheinlich nicht nüchtern genug zum Autofahren.
Ich will aber die Schuld nicht auf das Bier schieben. Meine Reflexe mögen ein wenig lahm gewesen sein, aber es kamen auch noch andere Umstände hinzu, und ich bezweifle, dass es ohne das Bier irgendwie anders gekommen wäre. Als ich das Restaurant verließ, goss es immer noch in Strömen, und als ich die paar hundert Meter zum Parkplatz gelaufen war, war ich nass bis auf die Haut. Dass ich lange in der nassen Hosentasche nach den Schlüsseln wühlte, machte die Sache auch nicht besser, und erst recht nicht, dass ich sie, nachdem ich sie hervorgeklaubt hatte, prompt in eine Pfütze fallen ließ. So verlor ich noch mehr Zeit, denn nun musste ich in die Hocke gehen und im Dunkeln nach ihnen suchen, und als ich mich endlich erhob und in den Wagen stieg, war ich nass wie einer, der vollständig bekleidet ein ausgiebiges Duschbad genommen hatte. Man gebe dem Bier die Schuld, aber auch meinen triefenden Kleidern und dem Wasser, das mir in die Augen lief. Immer wieder musste ich eine Hand vom Steuer nehmen und mir die Stirn abwischen; denkt man darüber hinaus noch an die Ablenkung durch eine schlecht funktionierende Lüftung (sodass ich, wenn ich mir nicht gerade die Stirn abwischte, mit derselben Hand die beschlagene Windschutzscheibe frei machen musste), und steigert man diese Schwierigkeiten noch durch schadhafte Scheibenwischer (wann sind Scheibenwischer nicht schadhaft?), so herrschten an diesem Abend Bedingungen, die eine sichere Heimfahrt wohl kaum garantieren konnten.
Komisch, dass ich mir über das alles im Klaren war. Bibbernd in meinen nassen Kleidern, nur darauf bedacht, nach Hause zu kommen und mich umzuziehen, fuhr ich dennoch ganz bewusst so langsam wie möglich. Das war vermutlich meine Rettung; es kann aber auch sein, dass es gerade deshalb zu dem Unfall kam. Wäre ich schneller gefahren, wäre ich vielleicht wachsamer gewesen, hätte besser auf die Tücken der Straße geachtet. So aber begannen meine Gedanken nach einer Weile abzuschweifen, und schließlich geriet ich in eine dieser langwierigen, sinnlosen Grübeleien, die einen nur zu
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