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Das Buch der Illusionen

Das Buch der Illusionen

Titel: Das Buch der Illusionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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gefragten Autorin. Der Artikel über Hector war eine Ausnahme, wesentlich ernster und freimütiger in der Bewunderung für ihren Gegenstand als alle anderen Sachen von ihr, die Alma gelesen hatte. Das mit dem starken Akzent war jedoch nur leicht übertrieben. O'Fallon hatte zur Steigerung der Komik ein wenig nachgeholfen, aber im Grunde sprach Hector zu der Zeit wirklich so. Sein Englisch verbesserte sich im Lauf der Jahre, aber in den Zwanzigern klang er tatsächlich noch wie jemand, der gerade erst vom Schiff gekommen war. Er mochte in Hollywood auf die Füße gefallen sein, aber noch kurz davor war er bloß irgendein konfuser Ausländer gewesen, der mit all seinen Habseligkeiten in einem Pappkoffer am Hafen gestanden hatte.
    Hectors Tändeleien mit schönen jungen Schauspielerinnen gingen auch in den Monaten nach diesem Interview munter weiter. Er genoss es, in der Öffentlichkeit mit ihnen gesehen zu werden, er genoss es, mit ihnen ins Bett zu steigen, aber keine dieser Liebschaften war von Dauer. O'Fallon war klüger als die anderen Frauen, die er kannte, und immer wenn ihm irgendein neues Spielzeug langweilig geworden war, rief er Brigid an und bat um ein Wiedersehen. Zwischen Anfang Februar und Ende Juni besuchte er ihre Wohnung im Durchschnitt ein- bis zweimal pro Woche, und in der Mitte dieses Zeitraums, von April bis Mai, verbrachte er mindestens jede zweite oder dritte Nacht mit ihr. Kein Zweifel, dass er sie gern hatte. In diesen Monaten entwickelte sich eine wohltuende Vertrautheit zwischen den beiden, doch während die weniger erfahrene Brigid dies als Zeichen ewiger Liebe deutete, gab Hector sich nie dem trügerischen Gedanken hin, dass sie mehr als gute Freunde seien. Er betrachtete sie als seine Gefährtin, als seine Bettgenossin, als seine getreue Verbündete, aber das hieß keineswegs, dass er die Absicht hatte, sie um ihre Hand zu bitten.
    Sie war Reporterin, und sie muss gewusst haben, was Hector in den Nächten trieb, die er nicht in ihrem Bett verbrachte. Sie brauchte nur die Morgenzeitung aufzuschlagen, um seinen Eskapaden zu folgen und die brühwarmen Anzüglichkeiten über seine neuesten Streiche und Eroberungen nachzulesen. Die meisten dieser Artikel beruhten zwar nicht auf Tatsachen, lieferten jedoch Hinweise genug, die Grund zur Eifersucht hätten geben können. Aber Bri-gid war nicht eifersüchtig - jedenfalls schien sie es nicht zu sein. Wenn Hector auftauchte, empfing sie ihn stets mit offenen Armen. Von den anderen Frauen sprach sie nie, und da sie ihm keine Vorwürfe machte, ihn weder beschimpfte noch aufforderte, sich zu bessern, wuchs seine Zuneigung zu ihr nur umso mehr. Das war Brigids Absicht. Sie hatte ihr Herz an ihn verloren, und statt ihn zu einer vorschnellen Entscheidung über ihr gemeinsames Leben zu zwingen, zwang sie sich selbst zur Geduld. Früher oder später würde Hector es leid sein, sich so herumzutreiben. Das hektische Schürzenjägerleben würde seinen Reiz verlieren. Einmal musste es ihm doch langweilig werden; er würde sich davon befreien, er würde die Wahrheit erkennen. Und dann wäre sie für ihn da.
    So plante es die klar denkende und erfinderische Brigid O'Fallon, und eine Zeit lang sah es aus, als sollte sie ihren Fisch tatsächlich an die Angel bekommen. Hector, verwickelt in seine Streitigkeiten mit Hunt, zermürbt von dem ständigen Druck, Monat für Monat einen neuen Film abzuliefern, hatte immer weniger Lust, seine Nächte in Jazzclubs und Flüsterkneipen zu vertrödeln und sich mit sinnlosen Eroberungen zu verausgaben. O'Fallons Wohnung wurde eine Zuflucht für ihn, und die stillen Abende, die sie dort verbrachten, halfen ihm, Kopf und Keimdrüsen im Gleichgewicht zu halten. Brigid war eine scharfsinnige Kritikerin, und da sie sich im Filmgeschäft viel besser auskannte als er, wurde ihr Urteil für ihn immer wichtiger. Von ihr stammte denn auch der Vorschlag, er solle Dolores Saint John für die Rolle der Sheriffstochter in Der Requisiteur, seinem nächsten Kurzfilm, vorsprechen lassen. Brigid hatte sich in den vergangenen Monaten mit Saint Johns Karriere beschäftigt, und ihrer Meinung nach besaß die einundzwanzigjährige Schauspielerin das Potenzial, der nächste große Star zu werden, eine neue Mabel Normand oder Gloria Swanson, ein neue Norma Talmadge.
    Hector beherzigte ihren Rat. Als Saint John drei Tage später sein Büro betrat, hatte er bereits ein paar ihrer Filme gesehen und war entschlossen, ihr die Rolle anzubieten. Brigid hatte

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