Das Buch der Illusionen
Beziehung vollständig abzubrechen. Selbst auf dem Höhepunkt seiner Schwärmerei für Saint John ging er weiterhin ein- oder zweimal die Woche bei Brigid vorbei, und jedes Mal wenn er durch die Wohnungstür schritt, schlüpfte er wieder in das alte vertrauliche Verhältnis zurück. Natürlich könnte man ihm Feigheit vorwerfen, aber genauso gut könnte man auch behaupten, er habe sich in einem Konflikt befunden. Vielleicht zweifelte er, ob es richtig sei, Saint John zu heiraten. Vielleicht war er nicht bereit, auf O'Fallon zu verzichten. Vielleicht war er hin- und hergerissen zwischen den beiden Frauen und brauchte sie beide. Schuldgefühle können einen Mann dazu bringen, gegen seine Interessen zu handeln, aber unerfüllte Wünsche können das auch, und wenn Schuldgefühle und unerfüllte Wünsche sich im Herzen eines Mannes mischen, ist er zu den seltsamsten Dingen fähig.
O'Fallon argwöhnte nichts. Im September, als er Saint John für die Rolle seiner Ehefrau in Ein Niemand engagierte, gratulierte sie ihm zu seiner klugen Wahl. Auch als vom Set Gerüchte nach außen drangen, in denen von einer besonders engen Beziehung zwischen Hector und seiner Hauptdarstellerin die Rede war, reagierte sie nicht übermäßig beunruhigt. Hector flirtete gern. Er vernarrte sich in jede Schauspielerin, mit der er arbeitete, aber wenn die Dreharbeiten beendet und alle nach Hause gegangen waren, vergaß er sie auch schnell wieder. In diesem Fall jedoch hielten sich die Gerüchte. Hector arbeitete bereits an Doppelt oder nichts, seinem letzten Film für Kaleidoscope, und Gordon Fly munkelte in seiner Kolumne etwas von Hochzeitsglocken, die demnächst für eine gewisse langhaarige Sirene und ihren schnauzbärtigen Schönling läuten würden. Inzwischen war es Mitte Oktober, und O'Fallon, die seit fünf oder sechs Tagen nichts mehr von Hector gehört hatte, rief im Schneideraum an und bat ihn, sie an diesem Abend in ihrer Wohnung zu besuchen. Es war das erste Mal, dass sie eine solche Bitte an ihn richtete, und daher verzichtete er auf das geplante Abendessen mit Dolores und machte sich auf den Weg zu Brigid. Und als sie ihn nun mit der Frage konfrontierte, um deren Beantwortung er sich in den vergangenen zwei Monaten gedrückt hatte, sagte er ihr endlich die Wahrheit.
Hector hatte eine Entscheidung herbeigesehnt, einen Ausbruch weiblichen Zorns, einen wütenden Rausschmiss, irgendetwas, das die Sache ein für alle Mal beenden würde, aber als er ihr die Neuigkeit mitteilte, sah Brigid ihn nur an, holte tief Luft und sagte, es sei ganz unmöglich, dass er Saint John liebe. Es sei unmöglich, weil er doch sie liebe. Ja, sagte Hector, er liebe sie, er werde sie immer lieben, aber es sei nun einmal so, dass er Saint John heiraten werde. Jetzt brach Brigid in Tränen aus, warf ihm aber seinen Betrug nicht vor, redete nicht zu ihren Gunsten und machte auch keine Szene wegen des schrecklichen Verrats, den er an ihr begangen hatte. Er täusche sich in sich, sagte sie, und wenn er erst einmal erkannt habe, dass niemand ihn jemals so lieben könne wie sie, werde er zu ihr zurückkommen. Dolores Saint John sei kein Mensch, sagte sie, sondern ein Ding. Ein funkelndes, betörendes Ding, aber hinter dieser Fassade sei sie grob und fad und dumm, sie habe es nicht verdient, seine Frau zu sein. Hector hätte jetzt eigentlich etwas erwidern müssen. Die Situation verlangte irgendeine brutale, schneidende Bemerkung, die ihre Hoffnung für immer vernichtet hätte, aber Brigids Schmerz war zu viel für ihn, ihre Hingabe war zu viel für ihn, und als er sie diese kurzen, atemlosen Sätze ausstoßen hörte, brachte er die entscheidenden Worte einfach nicht über die Lippen. Du hast recht, antwortete er. Wahrscheinlich dauert es höchstens ein, zwei Jahre. Aber da muss ich durch. Ich muss diese Frau haben, und danach wird sich alles von alleine regeln.
Am Ende verbrachte er die Nacht in Brigids Wohnung. Nicht weil er dachte, das würde ihnen irgendwie weiterhelfen, sondern weil sie ihn anflehte, noch dieses eine letzte Mal zu bleiben, und er nicht Nein sagen konnte. Am nächsten Morgen verdrückte er sich, bevor sie aufgewacht war, und von da an wurde alles anders für ihn. Der Vertrag mit Hunt lief aus; er begann mit Blaustein an Punkt und Komma zu arbeiten; seine Hochzeitspläne nahmen Gestalt an. Seit zweieinhalb Monaten hatte Brigid sich nicht mehr bei ihm gemeldet. Ihr Schweigen beunruhigte ihn zwar ein wenig, aber tatsächlich hatte er so viel mit
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