Das Buch der Illusionen
wie er sich in allem anderen getäuscht hatte. Nur er selbst wurde vermisst, und dass Brigid verschwunden war, konnte so bald niemand merken. Sie hatte keine Arbeit mehr, keinen festen Wohnsitz, und als sie am Ende dieser Woche zu Beginn des Jahres 1929 nicht auf ihr Zimmer im Fitzwilliam Arms in Los Angeles zurückgekehrt war, ließ der Empfangschef ihre Habseligkeiten in den Keller tragen und vermietete ihr Zimmer an jemand anderen. Daran war nichts Ungewöhnliches. Ständig verschwanden irgendwelche Leute, und man konnte ein Zimmer doch nicht einfach leer stehen lassen, wenn sich ein neuer Mieter fand. Selbst wenn der Empfangsmensch sich Sorgen gemacht und die Polizei verständigt hätte, hätte auch die nichts unternehmen können. Brigid war unter falschem Namen gemeldet, und wie sollte man jemanden suchen, den es gar nicht gab?
Zwei Monate später rief ihr Vater aus Spokane bei der Polizei in Los Angeles an und sprach mit einem Kommissar namens Reynolds, der den Fall bis zu seiner Pensionierung 1936 weiterverfolgte. Vierundzwanzig Jahre danach kamen die Knochen von Mr. O'Fallons Tochter schließlich ans Licht. Ein Bulldozer schaufelte sie auf der Baustelle für eine neue Wohnsiedlung am Rand der Simi Hills aus dem Boden. Sie wurden an das forensische Institut nach Los Angeles geschickt, aber Reynolds' Papierkram war längst in irgendeinem Lager verschwunden, und die Person, der die Knochen gehört hatten, konnte nicht mehr identifiziert werden.
Alma wusste von den Knochen, weil sie danach recherchiert hatte. Hector hatte ihr erzählt, wo sie vergraben waren, und als sie Anfang der achtziger Jahre die Wohnsiedlung besuchte, sprach sie mit mehreren Leuten, die ihr bestätigten, dass sie genau an dieser Stelle gefunden worden waren.
Inzwischen war Saint John auch schon lange tot. Als sie nach Hectors Verschwinden wieder zu ihren Eltern in Wichita gezogen war, hatte sie der Presse noch eine Erklärung gegeben und dann ein sehr abgeschiedenes Leben geführt. Anderthalb Jahre später heiratete sie George T. Brinkerhoff, einen Bankier aus der Gegend. Sie hatten zwei Kinder, Willa und George Junior. 1934 - das ältere Kind war noch keine drei Jahre alt - verlor Saint John auf der Heimfahrt durch heftigen Novemberregen die Kontrolle über ihren Wagen. Sie krachte an einen Telefonmasten, und die Wucht der Kollision schleuderte sie durch die Windschutzscheibe, die ihr die Halsschlagader durchtrennte. Dem polizeilichen Autopsiebericht zufolge verblutete sie, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben.
Zwei Jahre später heiratete Brinkerhoff wieder. Als Alma ihm 1983 schrieb und ihn um eine Unterredung bat, antwortete seine Witwe, dass er im vorigen Herbst an Nierenversagen gestorben sei. Die Kinder lebten freilich noch, und Alma sprach mit beiden - mit dem einen in Dallas, Texas, mit dem anderen in Orlando, Florida. Beide hatten nicht viel zu sagen. Sie seien damals noch so jung gewesen, sagten sie. Ihre Mutter hätten sie nur von Fotos in Erinnerung, sonst gar nicht.
Als Hector am Morgen des 15. Januar zur Central Station ging, war sein Schnurrbart bereits weg. Er maskierte sich, indem er einfach sein Markenzeichen abnahm, sein Gesicht durch schlichte Subtraktion in ein anderes verwandelte. Die Augen und Augenbrauen, die Stirn und das zurückgekämmte Haar hätten einem Kenner seiner Filme auch etwas gesagt, aber kaum hatte Hector seine Fahrkarte gekauft, fiel ihm auch hierfür eine Lösung ein. Und ein neuer Name, sagte Alma, gleich dazu.
Der 9 Uhr 21 nach Seattle ging erst in einer Stunde. Hector beschloss, die Zeit bei einer Tasse Kaffee im Bahnhofsrestaurant totzuschlagen, aber sobald er am Tresen saß und ihm der Geruch von Schinken und Eiern, die dort gebraten wurden, in die Nase stieg, befiel ihn eine schreckliche Übelkeit. Er schaffte es noch zur Toilette, schloss sich in einer Kabine ein, sank auf Hände und Knie und würgte den Inhalt seines Magens in die Kloschüssel. Alles schoss aus ihm heraus, erbärmlich aussehende grüne Flüssigkeit und braune Klümpchen unverdauten Essens, eine bebende Entladung von Scham, Angst und Ekel, und als die Attacke vorbei war, sank er ganz auf den Boden und blieb, um Atem ringend, lange dort liegen. Sein Kopf lehnte an der Rückwand, und aus diesem Blickwinkel konnte er etwas sehen, das ihm sonst entgangen wäre. In der Krümmung des Abflussrohrs unmittelbar hinter der Toilette lag eine Mütze, die jemand dort abgelegt hatte. Hector zog sie aus ihrem Versteck und sah,
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