Das Buch der Schatten 2
sich zu meinen Füßen nieder.
»Der Belwicket-Hexenzirkel wurde quasi zerstört.« Alyce klang, als wollten ihr die Worte nur schwer über die Lippen kommen. »Es ist unklar, ob es die Stadtbewohner waren oder eine dunkle, mächtige magische Quelle, die durch den Hexenzirkel fegte, doch in dieser Nacht brannten zahlreiche Häuser bis auf die Grundmauern nieder, Autos wurden in Brand gesteckt, Getreidefelder verwüstet, Boote versenkt … und dreiundzwanzig Männer, Frauen und Kinder fanden den Tod.«
Ich merkte, dass ich keuchte, mein Magen war ein einziger Knoten. Mir war übel, ich war benommen und in Panik. Ich ertrug es nicht, das alles zu hören.
»Aber nicht Maeve«, flüsterte Alyce und richtete den Blick weit in die Ferne. »Maeve entkam in jener Nacht, genau wie der junge Angus Bramson, ihr Freund. Maeve war zwanzig, Angus zweiundzwanzig, und sie flohen zusammen, nahmen einen Bus nach Dublin und dann ein Flugzeug nach England. Von dort reisten sie weiter
nach New York und gelangten schließlich nach Meshomah Falls.«
»Haben sie geheiratet?«, fragte ich heiser.
»Darüber gibt es keine Aufzeichnungen«, antwortete Alyce. »Sie ließen sich in Meshomah Falls nieder, suchten sich Arbeit und entsagten der Hexerei vollkommen. Wie es scheint, praktizierten sie zwei Jahre lang überhaupt kein Wicca, riefen keine Mächte an, benutzten keine Magie.« Traurig schüttelte sie den Kopf. »Es muss ihnen vorgekommen sein wie ein Leben in einer Zwangsjacke. Als würde man in einer Schachtel ersticken. Und dann bekamen sie im örtlichen Krankenhaus ein Baby. Wir glauben, dass direkt danach die Verfolgung begann.«
Mir schnürte es die Kehle zu. Ich zerrte am Halsausschnitt meines Pullovers, weil ich das Gefühl hatte, ich würde ersticken.
»Zuerst waren es nur Kleinigkeiten – sie fanden Runen mit Warnungen und an die Mauern ihres kleinen Hauses wurden Drohungen gepinselt. Schadenssiegel, in magischer Absicht verhexte Runen, in die Tür ihres Autos gekratzt. Eines Tages hing an ihrer Veranda eine tote Katze. Wenn sie sich an den örtlichen Hexenzirkel gewandt hätten, hätte man ihnen helfen können. Doch sie wollten sich nicht wieder der Hexerei zuwenden. Nachdem Belwicket zerstört worden war, wollte Maeve nichts mehr damit zu tun haben. Obwohl es
ihr natürlich im Blut lag. Es ist sinnlos zu leugnen, wer oder was man ist.«
Entsetzen drohte mich zu überwältigend. Am liebsten wäre ich schreiend aus dem Laden gerannt.
Alyce sah mich an. »Nach dem Brand wurde Maeves Buch der Schatten gefunden. Die Leute lasen es und gaben die Geschichten weiter, die dort geschrieben standen. «
»Wo ist es jetzt?«, wollte ich wissen, doch Alyce schüttelte den Kopf.
»Das weiß ich nicht«, antwortete sie freundlich. »Maeves Geschichte endet damit, dass sie und Angus in einer niedergebrannten Scheune den Tod fanden.«
Tränen rollten langsam über meine Wangen.
»Was ist aus dem Baby geworden?«, würgte ich heraus.
Alyce sah mich mitfühlend an, die Weisheit vieler Lebensjahre in ihr Gesicht geschrieben. Sie hob eine weiche, nach Blumen duftende Hand und berührte meine Wange. »Das weiß ich auch nicht, meine Liebe«, sagte sie so leise, dass ich sie kaum hören konnte. »Was ist aus dem Baby geworden?«
Ein Schleier zog über meine Augen und ich musste mich hinlegen oder umkippen oder schreiend durch die Straßen rennen.
»Hey, Morgan! «, hörte ich da Robbies Stimme. »Bist du fertig? Ich muss langsam mal nach Hause.«
»Leben Sie wohl«, flüsterte ich. Ich drehte mich um und lief zur Tür hinaus. Robbie folgte mir mit besorgter Miene.
Hinter mir spürte ich Alyces Worte mehr, als dass ich sie hörte: »Nicht Lebewohl, meine Liebe. Du kommst wieder.«
8
ZORN
1. November 1980
Letzte Nacht haben wir ein fantastisches Samhain gefeiert ! Nach einem energiegeladenen Kreis, den Ma mir erlaubte zu leiten, tanzten wir, spielten Musik, beobachteten die Sterne und hofften darauf, dass bessere Zeiten kommen. Es war eine Nacht voller Apfelwein, Lachen und Hoffnung. Es war so ruhig in letzter Zeit – ist das Böse weitergezogen? Hat es ein anderes Zuhause gefunden? Göttin, ich bete nicht darum, denn ich möchte nicht, dass andere so leiden müssen, wie wir gelitten haben. Aber ich bin dankbar, dass wir nicht mehr bei jedem Geräusch zusammenzucken müssen.
Angus hat mir einen süßen kleinen Kater geschenkt – ein winziges weißes Ding, das ich Dagda getauft habe. Das bedeutet Guter Gott und mit dem Namen wird
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