Das Buch der Schatten 2
ich, ohne ihren Blick zu erwidern. »Ich war mit Robbie unterwegs.«
»Robbie sieht in letzter Zeit toll aus«, sagte Mary K. und nahm sich etwas vom Orangenhühnchen. »War er bei einem neuen Hautarzt?«
»Ähm, ich weiß nicht«, sagte ich vage. »Aber seine Haut ist wirklich viel besser geworden. «
»Vielleicht ist er einfach rausgewachsen«, meinte meine Mutter. Ich konnte nicht glauben, dass sie hier so höflich plauderte. Frust stieg in mir auf, während ich auf meinem Abendessen herumkaute.
»Könnte mir mal jemand das Schweinefleisch rübergeben ?«, fragte mein Vater.
Eine Weile aßen wir schweigend. Falls Tante Eileen und Paula auffiel, dass die Stimmung ein bisschen komisch war, dass wir gestelzt waren und nicht besonders zum Reden aufgelegt, dann ließen sie sich nichts
anmerken. Selbst Mary K., so munter sie von Natur aus auch war, hielt sich zurück.
»O Morgan, Janice hat angerufen«, sagte mein Vater. Ich merkte, dass er sich um einen normalen Tonfall bemühte. »Du möchtest sie bitte zurückrufen. Ich habe ihr gesagt, du würdest dich nach dem Abendessen melden.«
»Okay. Danke«, sagte ich und stopfte mir ein großes Stück Lauchpfannkuchen in den Mund, damit es nicht weiter auffiel, dass ich so schweigsam war.
Nach dem Essen stand Tante Eileen auf und ging in die Küche, und als sie wiederkam, brachte sie eine Flasche Cider und ein Tablett mit Gläsern mit.
»Nanu?«, fragte meine Mutter mit einem überraschten Lächeln.
»Nun«, sagte Tante Eileen schüchtern, während Paula aufstand und sich neben sie stellte. »Wir haben sehr aufregende Neuigkeiten. «
Mary K. und ich tauschten einen Blick.
»Wir ziehen zusammen«, verkündete Eileen mit einem glücklichen Strahlen. Sie lächelte Paula an und Paula umarmte sie.
»Ich habe meine Wohnung schon in die Zeitung gesetzt und wir suchen ein Haus«, sagte Paula.
»O toll«, sagte Mary K. und stand auf, um Tante Eileen und Paula zu umarmen.
Sie strahlten. Ich stand ebenfalls auf und umarmte
sie, genau wie Mom. Dad umarmte Eileen und schüttelte Paula die Hand.
»Also, das sind ja tolle Neuigkeiten«, sagte Mom, obwohl ihre Miene eher sagte, sie fände es besser, wenn sie sich länger kennen würden.
Eileen öffnete den Cider und schenkte ein. Paula reichte Gläser herum und Mary K. und ich nippten augenblicklich daran.
»Wollt ihr zusammen ein Haus kaufen oder mieten?«, fragte Mom.
»Wir würden gern etwas kaufen«, antwortete Eileen. »Wir haben jetzt beide eine Eigentumswohnung, aber ich hätte gern einen Hund, also brauchen wir einen Hof.«
»Und ich brauche Platz für einen Garten«, sagte Paula.
»Ein Hund und ein Garten schließen sich womöglich gegenseitig aus«, sagte mein Vater und sie lachten. Ich lächelte ebenfalls, aber es kam mir alles so unwirklich vor – als würde ich einer fremden Familie im Fernsehen zusehen.
»Ich hatte gehofft, du könntest uns bei der Suche nach einem Haus helfen«, sagte Eileen zu meiner Mutter.
Mom lächelte – zum ersten Mal seit vierundzwanzig Stunden. »Ich bin im Geiste schon ein paar Möglichkeiten durchgegangen«, gestand sie. »Könnt ihr so bald wie möglich im Büro vorbeikommen, damit wir ein paar Besichtigungstermine verabreden können?«
»Das wäre toll«, sagte Eileen. Paula drückte ihr die Schulter. Sie sahen einander an, als wären sie allein im Raum.
»Der Umzug wird der reinste Wahnsinn«, sagte Paula. »Ich habe überall Zeug verteilt: bei meiner Mutter, meinem Vater, meiner Schwester. Meine Wohnung war einfach zu klein für all meine Sachen.«
»Zum Glück habe ich eine Nichte, die nicht nur stark ist, sondern auch ein großes Auto besitzt«, meinte Tante Eileen strahlend und sah zu mir herüber.
Ich starrte sie an. Eigentlich war ich doch gar nicht ihre Nichte, oder? Selbst Eileen hatte bei dieser Scharade mitgespielt, die mein Leben war. Selbst sie, meine Lieblingstante, hatte gelogen und sechzehn Jahre lang Geheimnisse vor mir gehütet.
»Tante Eileen, weißt du, warum Mom und Dad mir nie gesagt haben, dass ich adoptiert bin?« Ich stellte es einfach in den Raum, und es schlug ein, als hätte ich gesagt, ich hätte die Beulenpest.
Alle starrten mich an, außer Mary K., die bekümmert in ihr Glas blickte, und Paula, die Tante Eileen mit einem besorgten Blick bedachte.
Tante Eileen sah aus, als hätte sie einen Frosch verschluckt. Mit großen Augen fragte sie: »Was?«, und warf meiner Mutter und meinem Vater einen kurzen Blick zu.
»Ich meine, findest du
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