Das Buch der Schatten 2
war.
Ich machte das Licht und den Motor aus und kauerte in meinem Sitz, so unsicher, dass ich buchstäblich bewegungsunfähig war. Ich brachte es nicht einmal fertig, das Auto wieder anzumachen und wegzufahren.
Keine Ahnung, wie lange ich im Dunkeln vor Cals Haus hockte. Als das Licht starker Scheinwerfer in mein Auto drang, von meinem Rückspiegel reflektiert wurde und mir in die Augen schien, schaute ich schließlich auf. Eine schwere Geländelimousine steuerte um mein Auto herum und parkte dicht am Haus. Die Wagentür ging auf, und eine große, schlanke Frau
stieg aus, deren Haare im Dunkeln kaum zu erkennen waren. Dann ging die Außenbeleuchtung am Haus an und tauchte die Einfahrt in ein warmes, gelbes Licht. Die Frau kam auf mein Auto zu.
Ich kam mir vor wie eine Idiotin, doch als Selene Belltower näher trat, kurbelte ich mein Fenster herunter. Eine ganze Weile sah sie mir nur ins Gesicht, als wollte sie mich einschätzen. Wir lächelten nicht und sprachen auch kein Wort.
»Warum kommst du nicht mit rein, Morgan?«, sagte sie schließlich. »Du frierst doch bestimmt. Ich mache heißen Kakao.« Als wäre es ganz normal, dass eine junge Frau mitten in der Nacht vor ihrem Haus im Auto saß.
Ich stieg aus und schlug die Wagentür zu. Zusammen gingen Cals Mutter und ich die breiten Steinstufen zum Haus hinauf und traten durch die schwere Holztür. Sie führte mich durch die Eingangshalle und von dort einen Flur hinunter in eine große, im französischen Landhausstil eingerichtete Küche, die ich bei meinem ersten Besuch hier nicht gesehen hatte.
»Setz dich doch«, sagte sie und wies auf einen hohen Hocker an der Kücheninsel.
Ich setzte mich, hoffte, dass Cal zu Hause war. Sein Auto hatte ich draußen nicht gesehen, aber vielleicht stand es ja in der Garage.
Ich warf meine Sinne aus, doch ich spürte seine Gegenwart nicht. Selene Belltowers goss gerade Milch in
einen Topf. Ihr Kopf fuhr hoch und sie zog die Augenbrauen zusammen und sah mich forschend an.
»Du bist sehr stark«, bemerkte sie. »Ich habe erst mit über zwanzig gelernt, meine Sinne auszuwerfen. Cal ist übrigens nicht hier.«
»Tut mir leid«, sagte ich unsicher. »Ich sollte gehen. Ich will Ihnen nicht zur Last fallen…«
»Du bist mir nicht lästig«, sagte sie, löffelte Kakaopulver in die Milch, rührte um und stellte den Topf auf die Herdplatte mir gegenüber. »Ich bin neugierig. Cal hat mir ein paar sehr interessante Dinge über dich erzählt.«
Cal unterhielt sich mit seiner Mutter über mich?
Als sie meine Miene sah, lachte sie, ein warmes, erdiges Lachen. »Cal und ich sind uns sehr nah«, sagte sie. »Wir waren lange nur zu zweit. Sein Vater hat uns verlassen, als Cal vier war.«
»Das tut mir leid«, sagte ich noch einmal. Sie redete mit mir, als wäre ich erwachsen, und aus irgendeinem Grund kam ich mir dabei um einiges jünger vor als sechzehn.
Selene Belltower zuckte die Achseln. »Mir hat es auch leidgetan. Cal hat seinen Vater sehr vermisst, aber er lebt jetzt in Europa und sie sehen sich nicht oft. Jedenfalls solltest du dich nicht wundern, dass mein Sohn sich mir anvertraut. Es wäre schließlich ganz schön dumm, wenn er versuchen wollte, etwas vor mir zu verbergen. «
Ich atmete aus und versuchte, mich zu entspannen. So war es also, in einem echten Hexenhaushalt zu leben – keine Geheimnisse.
Cals Mutter schenkte den Kakao in zwei bunte, handbemalte Becher und reichte mir einen. Er war zu heiß zum Trinken, also stellte ich ihn hin und wartete. Selene wedelte zweimal mit der Hand über den Becher und nahm dann einen Schluck.
»Versuch das«, meinte sie und sah zu mir auf. »Nimm die linke Hand und lass sie rechts herum über deinen Becher kreisen. Sag dabei: ›Kühl das Feuer.‹«
Verwundert tat ich, wie mir geheißen. Ich spürte, wie die Wärme in meine linke Hand strömte.
»Versuch den Kakao jetzt noch einmal«, sagte sie und beobachtete mich.
Ich trank einen Schluck. Er war merklich kühler und hatte jetzt die perfekte Trinktemperatur. Ich grinste vergnügt.
»Die linke Hand nimmt«, erklärte sie, »die rechte gibt. Im Uhrzeigersinn – zum Zunehmen, gegen den Uhrzeigersinn – zum Abnehmen. Und einfache Worte sind die besten.«
Ich nickte und trank meinen Kakao. Es mochte eine Kleinigkeit sein, aber für mich war es unglaublich faszinierend. Die Vorstellung, dass ich Worte sprechen und Handbewegungen machen konnte, die ein heißes Getränk auf die richtige Temperatur abkühlten!
Selene
Weitere Kostenlose Bücher