Das Buch der Schatten 2
am Fuß der Treppe. Dann kamen Schritte die Treppe hoch. Nervös sah ich zu, wie meine Tür aufging.
Mom kam zuerst herein, vermutlich um sich davon zu überzeugen, dass ich anständig bekleidet war und nicht etwa ein sexy durchsichtiges Negligé trug. Weit gefehlt, ich trug eine ausgeleierte graue Sweathose, ein Unterhemd von meinem Vater und ein weißes Sweatshirt. Mom hatte mir geholfen, mir das Blut aus den Haaren zu waschen, aber ich hatte sie weder richtig getrocknet noch gekämmt. Sie hingen mir in langen feuchten Strähnen ums Gesicht. Ehrlich, ich hatte im Leben noch nie so schrecklich ausgesehen.
Cal kam in mein Zimmer, das mir in seiner Gegenwart klein und mädchenhaft vorkam. Notiz an mich: Renovieren.
Er schenkte mir ein breites Lächeln. »Schätzchen!«
Ich musste unwillkürlich lachen, obwohl es wehtat, und hob die Hand ans Gesicht und sagte: »Au – bring mich bloß nicht zum Lachen.«
Sobald Mom sich davon überzeugt hatte, dass ich anständig gekleidet war, ging sie, auch wenn ihr der Gedanke,
dass ein Junge in meinem Zimmer war, ganz offensichtlich nicht behagte.
»Sieht sie nicht toll aus?«, sagte Mary K. »Wirklich schade, dass Halloween schon rum ist. Ich wette, bis Donnerstag ist alles blau und grün.« Sie hielt einen weißen Teddybär in der Hand, der ein herzförmiges Lätzchen trug.
»Für mich?«, fragte ich.
Mary K. schüttelte den Kopf und wirkte verlegen. »Der ist von Bakker.«
Ich nickte. Bakker hatte den ganzen Tag Blumen geschickt und Nachrichten auf unserer Veranda hinterlassen. Er hatte mehrmals angerufen, und als ich ans Telefon gegangen war, hatte er sich bei mir entschuldigt. Mary K. wurde schwach.
Sie hockte sich auf meinen Schreibtischstuhl und ich warf ihr einen Blick zu. »Musst du nicht Hausaufgaben machen?«
»Ich hab versprochen, den Anstandswauwau zu spielen«, beschwerte sie sich. Als sie mein Gesicht sah, hob sie die Hände. »Okay, okay, ich gehe.«
Die Tür schloss sich hinter ihr und ich sah Cal an. »Ich wollte nicht, dass du mich so siehst.« Wegen der Schwellung an der Nase klang meine Stimme verstopft und kühl.
Sein Gesicht wurde ernst. »Tamara hat mir erzählt, was passiert ist. Glaubst du, sie hat’s mit Absicht getan?«
Ich dachte an Brees Gesicht, die Angst in ihren Augen, als sie sah, was sie getan hatte.
»Es war ein Unfall«, sagte ich und er nickte.
»Ich habe dir etwas mitgebracht.« Er hielt eine kleine Tüte hoch.
»Was?«, fragte ich neugierig.
»Erst einmal das hier«, sagte Cal und holte eine kleine Topfpflanze heraus. Sie war silbriggrau und hatte geschnittene fedrige Blätter.
»Artemisia«, sagte ich, denn ich erkannte sie aus einem meiner Kräuterbücher. »Hübsch.«
Cal nickte. »Beifuß. Eine nützliche Pflanze. Und das hier.« Er reichte mir ein kleines Fläschchen.
Ich las das Etikett. » Arnica montana. «
»Das ist eine homöopathische Arznei«, erklärte Cal. »Ich habe sie im Reformhaus gekauft. Sie hilft bei traumatischen Verletzungen. Gut gegen blaue Flecken und so weiter.« Er beugte sich über mich. »Ich habe sie mit einem magischen Spruch belegt, damit es schneller heilt«, flüsterte er. »Genau das, was der Arzt empfohlen hat.«
Dankbar sank ich in meine Kissen. »Cool.«
»Und noch was«, sagte Cal und holte eine Flasche Kakao heraus. »Ich wette, du kannst nicht viel essen, aber Kakao kann man mit einem Strohhalm trinken. Und er enthält Bestandteile aller wichtigen Nahrungsmittelgruppen – Milch, Fett, Schokolade. Man könnte sagen, er ist die perfekte Krankennahrung.«
Ich lachte und versuchte dabei möglichst das Gesicht nicht zu verziehen. »Danke. Du hast an alles gedacht.«
»Abendessen in fünf Minuten«, rief Mom von unten.
Ich verdrehte die Augen und Cal lächelte. »Ich verstehe den Hinweis.« Er setzte sich behutsam auf die Bettkante und nahm meine Hand in seine beiden Hände. Ich schluckte, fühlte mich verloren, hätte ihn am liebsten an mich gedrückt. Mùirn beatha dàn, dachte ich.
»Kann ich sonst noch etwas für dich tun?«, fragte er, nicht ohne Untertöne. Ich wusste, was er meinte: Willst du, dass ich es Bree heimzahle?
Ich schüttelte den Kopf, auch wenn mir dabei das Gesicht wehtat. »Ich glaube nicht«, flüsterte ich. »Lass gut sein.«
Er sah mich ruhig an. »Ich lasse es gut sein, aber nur bis hierher und nicht weiter«, warnte er. »Das hier ist echt Scheiße.«
Ich nickte, ich war sehr müde.
»Okay, dann geh ich jetzt mal. Ruf mich heute Abend ruhig an,
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