Das Buch der Schatten: Roman (German Edition)
schien sie Cloud anzustarren. Geraume Zeit. Plötzlich schreckte Cloud nach oben. Gleichzeitig verschwand die Gestalt. Flink bewegte sie sich in das Dunkel der Nacht.
„Mein Gott“, entfuhr es Cloud. Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn gebildet. Unbewußt strich er mit dem Finger über seinen linken Handrücken. Der Narbe entlang, die sich quer darüber zog. Langsam drehte er seinen Kopf der Fensterfront zu. Für einen Moment war ihm, als hätte er davon geträumt, wie jemand Fremdes sich seinem Haus näherte. Oder war es gar kein Traum? Ist da wirklich eine Gestalt dicht an der Fensterscheibe gestanden? So sehr er sich auch anstrengte, es war zu finster, um etwas erkennen zu können. Gedankenversunken wandte Cloud sich ab, versuchte es einfach zu verdrängen. So, wie er alles zu verdrängen versuchte, wenn er an eine ganz bestimmte Zeit denken mußte.
Ein wenig betrübt über die Abwesenheit seiner Frau machte er sich auf den Weg ins Badezimmer. Vor Larsens Tür hielt er inne. Gleichmäßig gingen die Atemzüge seines Sohnes. Leise betrat Cloud das Bad und verschloß hinter sich die Tür. Ausgiebig begann er zu duschen, ließ das Wasser erquickend auf sich einwirken. Als er nach geraumer Zeit das Badezimmer verließ, fühlte er sich wie ein neuer Mensch. Wieder lauschte Cloud nach den Atemzügen seines Sohnes. Gleichmäßig atmete Larsen ein und wieder aus. Zufrieden darüber betrat er das Schlafzimmer. Minuten später verfiel er mehr oder weniger in einen tiefen Schlaf.
„Daddy, Daddy“, drang es plötzlich dumpf an sein Ohr. Verwirrt blickte Cloud neben sich auf den Digitalwecker. Drei Uhr nachts.
„Daddy, Daddy“, vernahm er wieder die Stimme seines Sohnes. Kein Traum! Mit einem Male war Cloud hellwach. Blitzschnell sprang er aus dem Bett. Gleichzeitig drückte er auf den Lichtschalter der Nachttischlampe.
„Daddy –“, rief Larsen immer wieder. „Daddy, Daddy.“
Mit wenigen Schritten stand Cloud im Zimmer seines Sohnes. Der Lichtstrahl vom Flur fiel auf das Kinderbett. Larsen hatte sich vollkommen unter der Bettdecke versteckt.
„Ich bin schon bei dir, mein Junge“, sagte Cloud erregt, doch mit sanfter Stimme. Vorsichtig zog er die Bettdecke zurück. Ängstlich blickte Larsen ihn an.
„Ich hab solche Angst Daddy“, weinte Larsen. „Bitte bleib bei mir. Bitte, bitte.“ Tränen rollten über sein Gesicht. Cloud nahm ihn sachte aus dem Bett. Sofort klammerte Larsen sich um seinen Hals.
„Ich hab Schlimmes geträumt, Daddy“, schluchzte er. „Ich hab so Schlimmes geträumt. Bitte laß mich nicht mehr allein. Bitte, bitte.“
Zart strich Cloud durch sein Haar. „Ich laß dich nicht mehr allein, mein Junge“, versuchte er ihn zu beruhigen. „Du darfst bei mir schlafen. Willst du das?“
„O ja, Daddy“, atmete Larsen hörbar auf. „Du mußt mich vor ihm beschützen, Daddy. Er darf mir nichts tun, du bist doch mein Daddy. Du, du.“
„Aber natürlich, mein Junge“, erwiderte Cloud etwas verwirrt. „Versuchen wir beide wieder zu schlafen, ja?“
„Ja, Daddy“, flüsterte Larsen. Gefühlvoll trug Cloud den kleinen Larsen in das Schlafzimmer und legte ihn neben sich ins Bett.
„Licht ausschalten?“ fragte Cloud nach einer Weile. Larsen gab keine Antwort. Gleichmäßig gingen wieder seine Atemzüge.
Der Morgen war längst schon angebrochen, als Cloud erwachte. Larsen konnte seit einiger Zeit schon nicht mehr schlafen. Er hatte sich nicht zu bewegen getraut, um seinen Vater dadurch nicht aufzuwecken.
„Hallo, mein Junge“, begrüßte Cloud seinen Sohn. Er legte sich auf die Seite und stützte seinen Kopf mit dem Ellenbogen ab. Larsen kam seinem Beispiel nach. Freudig blickte er seinem Vater in die Augen.
„War er wieder da?“ fragte Cloud nach einer Weile. Larsen schüttelte seinen Kopf.
„Willst du mir darüber erzählen?“
Wieder schüttelte Larsen mit dem Kopf.
Cloud strich ihm mit der Hand durch sein Haar. „Deine Mama kommt heute wieder“, sagte er darauf. „Bestimmt lassen die Ärzte sie heute wieder gehen.“
Über Larsens Gesicht flog ein freudiger Schimmer. Der schlechte Traum war auf einmal wie weggeblasen.
Cloud jedoch mußte immer wieder an den gestrigen Abend denken. Er war sich einfach nicht sicher, ob es nun eine Täuschung gewesen ist oder nicht. Auf jeden Fall nahm er sich vor, im Garten nach Spuren zu suchen. Wenn er es auch nicht für ernst nehmen wollte und er sich einredete, daß ihm seine Gedanken ein trügerisches Spiel
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