Das Buch der Schatten: Roman (German Edition)
kalt“, sagte er dabei. „Sollen wir nicht hineingehen?“
Der Sheriff nickte nur. Dauwn ließ seinem Gesprächspartner den Vortritt.
„Sie hätten ihn sehen sollen“, sagte der Pastor, als er die Tür hinter sich geschlossen hatte. „Er hat sich einfach auf die oberste Stufe gestellt und angefangen zu reden, obwohl noch niemand anwesend war.“
Wilson durchschritt den Vorraum. Aufmerksam ließ er seine Blicke an den Ecken und Winkeln entlanggleiten. Vor der ersten Bankreihe blieb er stehen.
„Die Menschen strömten förmlich zu ihm“, sprach Dauwn weiter. „Mir ist es unerklärlich, wie der Prediger das gemacht hat.“
„Und McLean war auch dabei?“ bemerkte Wilson lächelnd. Er kannte McLean zu gut, um zu wissen, daß dieser sich das Gerede eines Predigers nie mit anhören würde.
Dauwn nickte. Das Lächeln schien er zu übersehen. „Jancy McLean“, erwiderte er. „Eine Zeitlang hat er zugehört.“
„Tatsächlich?“ erstaunte sich Wilson.
„Bis er den Prediger angeschrien hatte, er solle sein – Maul – halten.“
„Und dann?“ Die Mundwinkel des Sheriffs verzogen sich zu einem Grinsen. Er hätte sich auch schwer in seiner Annahme getäuscht.
„Der Prediger hat ihn nur angesehen“, erwiderte Dauwn. „Dann hat er etwas zu ihm gesagt, worauf Jancy McLean sich umgedreht hat und einfach gegangen ist.“
„Einfach gegangen?“ wiederholte Wilson ungläubig.
„So unwahrscheinlich wie es auch klingt. Er hat sich umgedreht und ist einfach gegangen.“
„Was hat der Prediger denn gesagt?“ Das Grinsen auf Wilsons Gesicht verschwand. Er hätte eher angenommen, daß McLean den Prediger fortgejagt hatte. Die Aussage des Pastors erstaunte ihn doch ein wenig.
„Nicht viel“, gab Dauwn nachdenklich zur Antwort. „Er sagte lediglich nur, daß das Böse viele Gesichter hat und wie es denn mit seinem Gesicht wäre. Ob er es jedem offenbaren kann, oder gleich seinem Gegenüber das – Maul – stopft. Aber nicht das war es, was Jancy McLean dazu bewegte, zu gehen. Sie hätten den Blick des Predigers sehen müssen. Der Blick war es, der ihn dazu veranlaßte.“
„Der Blick?“ Verständnislos musterte Wilson den Pastor.
„Ich an Ihrer Stelle würde mir mal den Prediger etwas genauer ansehen“, meinte darauf Dauwn. „Irgend etwas ist mit dem nicht in Ordnung.“
„Sie meinen, er könnte etwas mit dem Mord zu tun haben?“ hakte der Sheriff sofort ein.
Dauwn blickte an Wilson vorbei. Seine Blicke trafen auf das Kreuz Christi, das links neben dem Altar an der Kirchenmauer angebracht war.
„Diese Frage darf ich Ihnen nicht beantworten“, entgegnete er leise. „Sie wissen doch, mein Stand als Pastor läßt –“
„Schon o . k.“, unterbrach ihn der Sheriff. „Aber wo ich diesen Prediger antreffen kann, das dürfen Sie mir doch sagen.“
„Das schon.“ Dauwn blickte den Sheriff wieder an. „Aber, ich habe keine Ahnung, wo er sich aufhält.“
„Können Sie ihn mir beschreiben?“
„Er ist nicht zu übersehen“, begann der Pastor langsam. „Ich schätze ihn auf einen Meter neunzig, wenn nicht noch mehr. Einen Vollbart, der spitz zusammenläuft. Aber das Auffälligste an ihm ist seine Haarfarbe und die vielen Sommersprossen in seinem Gesicht.“
„Was für eine Haarfarbe hat er denn?“ fragte Wilson, als Dauwn nicht mehr weitersprach.
„Ach ja“, erwiderte der Pastor, als sei er geistig abwesend gewesen. „Rot, grelles rotes Haar.“
„Rot“, wiederholte Wilson für sich. „Und was trug er für eine Kleidung?“
„Eine Mönchskutte“, antwortete Dauwn nur. Ohne es eigentlich zu wollen, richtete sich sein Blick am Sheriff vorbei wieder auf das Kreuz. Dauwn lief es kalt den Rücken hinunter. Er bereute es schon, dem Sheriff diese Aussage gemacht zu haben.
„Und sein Name?“ bohrte Wilson weiter.
„Namen?“ Der Pastor schüttelte seinen Kopf. „Er hat ihn nicht genannt.“ Dauwn mußte sich zwingen, den Sheriff wieder anzusehen. Ihm war auf einmal, als perlten Schweißtropfen auf seiner Stirn.
Wilson blickte kurz um sich. „Ich danke Ihnen, Pastor Dauwn“, sagte er darauf. „Sollte er sich hier wieder blicken lassen, würden Sie mich dann verständigen?“
Dauwn schluckte mehrmals. „Aber selbstverständlich“, brachte er nur mühevoll über die Lippen.
Ohne weiteres zu sagen, wandte Wilson sich um. Dauwn blickte dem Sheriff noch hinterher, als er längst schon die Kirche verlassen hatte. Ein Geräusch, das sich hinter ihm bemerkbar machte,
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