Das Buch der Schatten: Roman (German Edition)
ließ ihn zusammenzucken. Ängstlich drehte er sich danach um. Irgend etwas schien sich hinter dem Altar zu befinden.
„Wer ist da?“ rief Dauwn in gedämpften Ton. Bis auf seine eigene Stimme, die sich an den Wänden brach, tat sich nichts. Dauwn wandte sich wieder dem Ausgang zu. Plötzlich, er war sich sicher, wieder etwas vernommen zu haben. Diesmal um vieles deutlicher. Dauwn bekreuzigte sich. Seine Hand zitterte dabei. Ein leises Stöhnen, das an seine Ohren drang. Es mußte sich jemand hinter dem Altar befinden. Der Pastor riß all seinen Mut zusammen. Mit jedem Schritt, den er dem Altar näher kam, schnürte es ihm mehr die Kehle zusammen. Sein Atem stockte, als er den Gebetstisch berührte. Vorsichtig beugte er sich nach vorn, um darüber hinwegsehen zu können.
„Gott erbarme“, entfuhr es ihm. Dauwn wollte zurückweichen, sich wenden, um davonzurennen. Zu spät. Etwas packte ihn, krallte sich an seinen Beinen fest. Verzweifelt versuchte Dauwn sich an den Altar zu klammern, sich loszureißen. Mit einem Male begann sich etwas an ihm hochzuziehen. Etwas, das er schon einmal gesehen hatte. Vor der Kirche. Nur, dieses lebte noch, blickte ihn an. Obwohl es keine Augen mehr besaß, versuchte es Dauwn anzuflehen. Dauwn wußte nicht, wie ihm geschah. Dieses Etwas war ein Mensch, ein Mensch ohne Haut, ohne Augen, das ihn von unten herauf anstarrte. Ihm würgte bei dem Gestank, der sich mehr und mehr verbreitete. Plötzlich verlor er den Halt, wankte, versuchte sich mit letzter Kraft an der steinernen Platte festzuhalten. Vergebens. Rückwärts fiel er, schlug mit dem Kopf gegen den Altar. Der Aufprall war so heftig, daß sofort Blut aus einer Wunde quoll. Ihm wurde schwarz vor Augen. Zusammengesackt kam er auf den Boden zu liegen. Auf ihm dieses Geschöpf. Ein tiefes Röcheln drang aus dem Geschöpf hervor. Noch zwei kurze Atemzüge, ein Zittern – es erlag seinen Verletzungen, die ihm vor noch nicht allzulanger Zeit zugefügt worden waren.
*
Nachdem Wilson die Kirche verlassen hatte, blieb er noch für einen Augenblick stehen, musterte den Weg und die angrenzende Rasenfläche, bevor er das Gelände vollends verließ. Derselbe Augenblick, in dem Cloud, Eduard und Champy in den Rangerover einstiegen und langsam davonfuhren. Ein alter Mann, der dem Wagen grimmig hinterherblickte, verschwand soeben hinter einem nahestehenden Haus. Wilson ließ seine Blicke über die Straße gleiten. Auf die Eingangstür von Mountincar hefteten sich seine Augen. Sie stand offen, und das machte ihn mißtrauisch. Kurz entschlossen überquerte er die Straße. Ein gewohnter Griff nach seinem Revolver, bevor er langsam die wenigen Stufen hinabschritt. Bedächtig schob er den Vorhang zur Seite. Auf den ersten Blick schon sah er den Wirt regungslos auf der Erde liegen. Augenblicklich zog er seinen Revolver aus dem Halfter. Nur etappenweise näherte er sich dem Bewußtlosen. Durch ein kaum wahrnehmbares Stöhnen machte sich der Wirt bemerkbar, als Wilson ihn auf den Rücken zu drehen versuchte.
„Sam“, sprach Wilson ihn an. Sanft strich er dabei über die blaue Schwellung, die sich quer über sein Gesicht zog. Auch ein Auge war davon betroffen. Ein tiefer, schmerzlicher Seufzer drang ihm entgegen.
„Bleib ruhig liegen, Sam“, flüsterte der Sheriff. „Ich hol dir einen Arzt.“ Er stand auf und wollte zum Telefon gehen, da fiel sein Blick auf den Tisch, auf dem Jancy McLeans abgezogenes Gesicht lag. Wilson schreckte zusammen. Fassungslos starrte er auf die maskenähnliche Haut mit den Haaren daran.
„Mein Gott“, hauchte er. Mit zwei Fingern hob er es empor. Eindeutig identifizierte er McLeans Gesichtszüge. Sogar die Ohren hingen noch daran. Wilson wollte daran zweifeln, daß es sich tatsächlich um menschliche Hautsubstanz handle. In Erinnerungen sah er sie vor sich liegen, die grausam zugerichtete Leiche. Ohne Haut, ohne Gesicht. War es doch McLean gewesen? Aber er hatte sich einen Tag davor mit ihm unterhalten, ihn sogar teilweise verhört.
„Unmöglich“, wehrte Wilson den Gedanken ab. Sachte legte er es wieder auf den Tisch. Ein Schauer überfiel ihn, als er sich dem Telefon näherte. Ein leichtes Zittern machte sich bei ihm bemerkbar, als er den Hörer vom Apparat nahm. Verwundert legte er die Muschel an sein Ohr. Von dem üblichem Freizeichen war nichts zu vernehmen. Auch nicht, als er mehrmals auf die Taste drückte.
Kurz überprüfte er den Anschluß, der jedoch keinen Schaden aufwies.
„Verdammt!“ zischte
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