Das Buch der Schatten: Roman (German Edition)
ganz sicher?“ fragte er ihn langsam.
„Ohne Zweifel“, entgegnete Melby. „Ich habe den Bericht bei mir. Es war ein Chinese. Sie hatten etwas von einem Chinesen erwähnt.“
Wilsons Blicke wanderten von Melby auf den Toten, von dem Toten wieder auf Melby. „Chinesen werden nicht sehr groß“, hauchte er nur.
Stunden später. Dr. Melby saß Wilson in dessen Büro gegenüber. Wilson hatte sich soeben den Bericht von dem verstorbenen Arzt Dr. Kintel durchgelesen. Er blickte auf und musterte eine Zeitlang sein Gegenüber.
„Aus unbekannter Ursache den Ringfinger verloren“, zitierte er Kintels Worte. „Sam wurde von einem Chinesen niedergeschlagen“, sprach er weiter. „Bei ihm war ein Typ mit langen Haaren. Die vier Jungs, einer hatte ebenfalls langes Haar.“
„Sie meinen, es gibt eine Verbindung?“ bemerkte Melby.
„Die Fakten sprechen dafür“, erwiderte Wilson. „Bis auf einen kleinen Umstand. Sam wurde von einem Chinesen zusammengeschlagen. Bevor ich Sam auffand, hatte ich noch ein Gespräch mit Pastor Dauwn. Es vergingen eineinhalb Stunden. Zu wenig Zeit, jemanden zu – enthäuten.“
*
Nicht einen Laut gab das Telefon von sich. „Verdammt!“ fluchte Cloud. Wütend knallte er den Hörer auf die Gabel, riß die Tür der Telefonzelle auf und begab sich zum Fahrzeug zurück. „Dieses gottverdammte Telefon“, zischte er, nachdem er eingestiegen war.
„Ich glaube, es ist besser, wir verlassen dieses Nest“, erwiderte Arth. „Rouven ist bestimmt zurückgekehrt.“
„Meinst du?“ erwiderte Eduard.
„Ich hab da so ein Gefühl“, entgegnete Arth, der es sich wieder im hinteren Teil des Rangerovers bequem gemacht hatte. „Bestimmt finden wir im Internat eine Antwort.“
„Und du?“ Eduard sah auf Cloud. „Was meinst du dazu?“
„Besser wir unternehmen etwas“, stimmte er Arth zu. „Ich glaube auch nicht, daß Rouven sich hier noch aufhält.“
„Einverstanden.“ Eduard startete den Wagen. „Noch eine Runde durch die Stadt, dann ins Internat.“
Langsam ließ er seinen Wagen die Durchgangsstraße entlangrollen. Links und rechts befanden sich die verschiedensten Geschäfte. Mißtrauisch sowie neugierig wurden sie von den Passanten verfolgt. Mehrere Seitenstraßen schlossen sich an die Hauptstraße an. Ein wenig nach der Hälfte befand sich die Citystreet. In diese fuhr Eduard ein. Rechter Hand befand sich die Hausnummer 21. Am Straßenrand abgestellt stand der schneeweiße Cadillac von Jancy McLean. Die Fensterläden des kleinen Hauses waren eingeklappt, das Gebäude gab keinerlei Lebenszeichen von sich. Stillschweigend hegten die Freunde ihren Gedanken nach. Kaum waren sie an dem Haus vorüber, trat eine Person aus dem Garten hervor. Der alte Mann. In gebückter Haltung starrte er ihnen hinterher.
„Jerajisa“, flüsterte er. „Ihr werdet es kennenlernen.“
In Schrittgeschwindigkeit näherten sie sich der Kirche. Erschrocken trat Eduard auf das Bremspedal.
„Sie ist wieder abgesperrt“, unterbrach er die Stille. Arth lehnte sich gegen die vorderen Sitze. Seinen Kopf zwischen Cloud und Eduard.
„Schnell weg“, hauchte er. „Bestimmt haben sie den Wirt schon gefunden. Wir sind die einzigen Fremden in der Stadt. Vielleicht suchen sie uns schon.“
Soeben wurde die Eingangstür der Kirche geöffnet. Officer Svensen verließ das Gebäude. Dicht gefolgt von noch jemanden. Dieser hielt einen Photoapparat in der Hand. Vermutlich der Pressefotograf der hiesigen Tageszeitung. Svensen fiel sofort der Rangerover ins Auge. Wilson hatte ihm die Instruktion gegeben, nach drei Fremden Ausschau zu halten. Einer davon ist ein Chinese, der andere hat auffallend langes Haar. Von dem Dritten fehlt bisher eine Beschreibung. Von seinem Standpunkt aus konnte er jedoch von dem Inneren des Wagens nichts erkennen. Eduard trat wieder auf das Gaspedal. Zügig, ohne unnötiges Aufsehen zu erregen, fuhren sie an der Kirche vorbei. Weder Eduard noch Cloud bemerkten, wie Arth sich unterhalb der Seitenfenster versteckte. Mit viel Mühe konnte Svensen gerade noch die Autonummer erkennen, bevor der Wagen hinter der nächsten Biegung seinen Augen entschwand.
*
Die Nacht brach herein. Schlagartig wurde es dunkel in den Gemäuern des Internates. Der Wind hatte sich zu einem orkanartigen Ausbruch entwickelt. Schnee lag in der Luft. Rouven hatte es sich in der ehemaligen Wohnung des Internatsleiters gemütlich gemacht. Das Feuer in dem offenen Kamin erfüllte den Raum mit einer angenehmen
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