Das Buch der Schatten: Roman (German Edition)
Wärme. Das Knistern des brennenden Holzes übertönte manchmal die stürmischen Geräusche des Windes. Gelassen saß er in dem gepolsterten Sessel, dicht am Kaminfeuer. Neben ihm, auf einem kleinen, runden Tisch lag das Buch, sein Buch. Die letzte Seite war aufgeschlagen. In der linken Hand hielt er sein Tagebuch, rechter Hand den Füllfederhalter. Sachte legte er beides auf seinen Schoß. Langsam senkten sich seine Lider. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck, als würde nichts Außergewöhnliches bevorstehen. Nichts, das ihm etwas anhaben könnte. Eine Viertelstunde verstrich, ohne daß Rouven auch nur die kleinste Regung von sich gab. Plötzlich, wie von allein schienen die Flammen des Kaminfeuers zu ersticken. Dunkelheit breitete sich aus. Rouven registrierte es nicht. Gleichmäßig gingen seine Atemzüge. Eine weitere Viertelstunde verging. Etwas befand sich in seiner Nähe, dicht neben ihm und blickte ihn an.
Rouven, mein Freund , erklang eine sanfte kindliche Stimme. Rouven öffnete seine Augen, lenkte seinen Blick in die Richtung der Stimme.
„Jeremie“, hauchte Rouven, ohne jegliche Gefülsbetonung. Auf einmal bewegte sich etwas auf ihn zu. Langsam, sehr langsam. Dicht vor ihm machte es Halt. Wie damals, vor siebzehn Jahren, als ihm sein Freund erschienen war, sah er ihn auch jetzt. Der aufgeplatzte Schädel, der eingedrückte Brustkorb. Das rechte Auge, ausgelaufen hatte es sich mit dem Blut vermischt.
Du darfst das Buch nicht vernichten , sprach die kindliche Stimme. Mit der Vernichtung des Buches vernichtest du dich selbst. Du, mein lieber Freund, du bist das Buch. Mit ihm gehst auch du. Für immer.
Rouven musterte die Erscheinung. Ein Leuchten spiegelte sich in seinen Augen. „Du bist immer dagewesen“, entgegnete er leise zurück. „Immer habe ich deine Nähe verspürt. Du bist damals für mich gestorben, Jeremie. Dein Geist ist es, der mich durch das Leben geführt hat.“
Aber nur hier, an diesem Ort, an dem ich mein irdisches Leben gelassen habe, nur an diesem Ort darf ich dir erscheinen, kam es zurück. Höre nun, was ich dir zu sagen habe. Bitte folge meinen Worten. Noch ist nicht alles verloren. Noch gibt es Hoffnung, Bifezius Einhalt zu gebieten.
Rouven schüttelte seinen Kopf. „Selbst müßte ich böse werden, um das Böse zu vernichten. Die Erde wird seinem Schicksal überlassen sein. Das Licht hat nicht mehr die Kraft, für die Menschen zu leuchten. Zu viele haben das Gesicht des Bösen schon erblickt. Ich bin zu spät gekommen. Zu spät habe ich erkannt, wer ich wirklich bin.“
Laß es geschehen , erwiderte Jeremies Stimme. Auch wenn das Böse sich verbreitet, selbst wird es sich vernichten. Das Böse ist ein Einzelgänger. Es duldet keinen zweiten an seiner Seite. Nimm das Buch, verstecke es, wie du es schon einmal versteckt hast und warte, bis es soweit geschehen ist. Deine Stunde wird kommen, und du hast nur noch einen Gegner vor dir. Einen Gegner, den du leicht vernichten kannst, solange das Buch in deiner Reichweite bleibt.
Noch ehe Rouven etwas erwidern konnte, verschwand die Erscheinung, schneller wie sie gekommen war. Augenblicklich entfachte sich wieder das Feuer. Rouven öffnete seine Augen. Für einen Moment wußte er nicht, war es Traum, oder war ihm Jeremie wirklich begegnet. Rouven dachte nicht darüber nach. Die Nachricht, die er erhalten hatte, war von großer Bedeutung für ihn. Auch wenn er selbst schon die Gedanken gehabt hatte, und immer noch Hoffnung seine Handlungen bestimmte.
Jerajisa , vernahm er auf einmal dieselbe Stimme. Ich warte auf dich in Jerajisa.
„Jerajisa“, wiederholte Rouven leise. Er griff neben sich nach dem Buch und hielt es, die letzte Seite aufgeschlagen, vor sich hin.
„Am Ende wird es sein, wie es immer ist gewesen“, las er die wenigen Zeilen. „Staub wird sich über die Erde legen. Staub, vom Winde aufgewirbelt wird es ziehen an einen Ort, den wir nennen Jerajisa. Staub, der geworden ist aus Leib. Staub, der werden wird zu Leib. Der Geist des Staubes, er wird erlangen das Jerajisa. In diesem wird entschieden. Entschieden bis hin zur ewigen Ewigkeit.“
Langsam klappte er das Buch zusammen. Sanft strich er mit dem Finger über die Aufschrift, über das Zeichen, dem Ankh, dem Symbol des Lebens, des Wiederkommens, der Unsterblichkeit. „Ich werde deine Worte befolgen“, flüsterte er vor sich hin. „Mein geliebter Freund. Ich werde ihnen Gehorsam leisten, deinen Worten, deinem Rat.“
*
„Ein schwarzer Rangerover ist mir
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