Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Buch der Schatten: Roman (German Edition)

Das Buch der Schatten: Roman (German Edition)

Titel: Das Buch der Schatten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aaron E Lony
Vom Netzwerk:
Altares. Die Kirche war leer. Weder Schwester Maria noch Rouven befanden sich darin. Konzentriert ließ er seine Blicke umherschweifen. Auf dem Altar blieben sie haften. Richmon nahm die Kapuze von seinem Kopf und schritt langsam auf den Opfertisch zu. Sein Blick auf das mächtige Jesuskreuz gerichtet, kniete er sich vor dem Altar nieder. Seine Hände falteten sich zum Gebet. Andächtig senkte er sein Haupt.
    „Herr, o Herr, wann fällst du dein Urteil über das Böse dieser Erde? Wann endlich wird geschehen, was geschehen muß. Gib ein Zeichen, o Herr. Gib ein Zeichen der –“ Ein leises Geräusch drang unter dem Altar hervor. Richmon sprang auf. Das Geräusch wurde lauter. Jemand befand sich in dem unterirdischen Gang und näherte sich dem Opfertisch. Deutlich konnte er ein leises Schnaufen vernehmen. Richmon versteckte sich im Dunkeln des Glockenturmes. Das Tuch begann sich zu bewegen.
    „Pater“, hörte Richmon auf einmal ein Flüstern. „Pater Niclas Richmon.“ Richmon schluckte. Sein Atem ging schwerer und schwerer. Niemand wußte seinen Vornamen. Niemals hatte er je diesen Namen irgend jemandem genannt. Entsetzt starrte er auf das Tuch, das sich gleichmäßig hin und her bewegte.
    „Das Buch, Pater“, flüsterte die Stimme weiter. „Ich will es haben. Ich will das Buch. Verstehst du, das Buch!“
    „Ich hab es nicht“, zwang sich Richmon zu antworten. Seine Stimme klang dabei erstaunlich ruhig.
    „Du wirst es mir besorgen, Niclas. Es ist mein Buch! Ich will es wieder haben. Du hast nicht mehr viel Zeit!“
    Richmon wollte etwas darauf erwidern. Plötzlich schob sich etwas unter dem Tuch hervor. Erst wußte der Pater nicht, was es war, doch dann erkannte er einen langen blutroten Arm, der aus vielen kleinen Fasern bestand. Drei schlanke knochige Finger, über die sich eine dünne grünliche Hautschicht spannte, die mit dem Fasergewebe zusammengewachsen war. An den Fingern befanden sich zentimeterlange Nägel, die sich daran wie eine Klammer auf und zu bewegten. Noch nie hatte er so etwas gesehen. Richmon zweifelte an der Echtheit seiner Sinne. Schon wollte er sich dadurch beruhigen, daß ihm die Müdigkeit einen Streich spielte, da klammerten sich die Finger um das Tuch. Langsam zog es daran. Der Foliant, die Chronik des Klosters, fiel zu Boden. Auch das Buch, aus dem Schwester Maria vorgelesen hatte. Sowie die Kerzen, die links und rechts davon Licht zum Lesen gaben. Stück für Stück, bis alles auf der Erde lag. Wie erstarrt stierte Richmon auf das Tuch, das Zentimeter für Zentimeter in der Öffnung verschwand. Mit ihm auch der Foliant und alles, was sich auf dem Altar befunden hatte.
    „Das Buch der Schatten, Pater Niclas Richmon“, flüsterte es unter dem Steintisch hervor. „Wirf es mir herunter, wenn du es hast.“
    *
    Schweißgebadet erwachte Dumpkin aus einem unruhigen Schlaf. Nachdem er mit Ellinoy in das Schülerhaus geflohen war und sie sich in dessen Zimmer versammelt hatten, trennten sie sich spät in der Nacht wieder, um noch ein wenig Schlaf zu finden. Keiner von ihnen wollte zugeben, daß sie eigentlich wahnsinnig Angst hatten. Angst vor etwas, das sie nicht begreifen konnten. Vor etwas Dämonischem, das jederzeit überall sein kann.
    Zugleich erwachte auch Showy. Ängstlich blickte er zu Dumpkin, der eben dabei war, von seinem Bett aus den Vorhang ein wenig auf die Seite zu ziehen. Erste Sonnenstrahlen durchbrachen den leichten Nebel, der in einzelnen Schwaden über die Bäume hinwegzog.
    „Hey Dumpkin“, machte sich Showy bemerkbar. Dumpkin wandte sich um. In Showys Gesichtsausdruck war die Angst nicht zu übersehen.
    „Ich, ich habe etwas Schreckliches geträumt.“ Showy richtete sich ein wenig auf. Sein Schlafanzug war stellenweise naß. Vom Schweiß durchtränkt. Dumpkin setzte sich mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt ins Bett. Seine Beine zu einem Schneidersitz verschränkt. Vorsichtig tastete er über seinen verletzten Handrücken. Der Schmerz hatte schon um einiges nachgelassen.
    „Ich, ich hab von Sallivan geträumt“, sprach Showy weiter. Dumpkin sah seinen Freund nur an. Er sah ihn nur an und sagte nichts.
    „Sallivan“, hauchte Showy. „Ich sah ihn am Tor hängen. Er hing am Tor. Mit dem Kopf nach unten an einem Seil.“
    Dumpkin erwiderte immer noch nichts darauf. Schweigend betrachtete er Showy.
    „Seine Haut“, flüsterte Showy ängstlich. „Er hatte keine Haut mehr. Sie hing an ihm herunter. Ich hab es genau gesehen. Sallivan hatte keine Haut

Weitere Kostenlose Bücher