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Das Buch der Schatten: Roman (German Edition)

Das Buch der Schatten: Roman (German Edition)

Titel: Das Buch der Schatten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aaron E Lony
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dieser seelischen Qual, die ihn mit jedem Wort, das ihm sein Vater geschrieben hatte, peinigte.
    Ein lautes Poltern, das vom oberem Stockwerk herrührte, ließ ihn zusammenzucken. Gleichzeitig durchfuhr es ihn wie ein Blitz. Das Buch, es befand sich in Pater Richmons Zimmer. Und das Zimmer war direkt über dem Rektorat. Schnell steckte er den Brief in den Umschlag zurück, den er dann in seine Hosentasche schob. Ein weiteres Poltern mahnte ihn zu höchster Eile. So schnell er konnte, rannte er die Treppe hinauf. Auf der letzten Stufe blieb er stehen. Deutlich vernahm er, wie zwei miteinander kämpften.
    „Du Stück Dreck“, hörte er Goodman keuchen. „Gib mir das Buch, oder ich bring dich um!“ Im selben Augenblick ein dumpfer Schlag. Rouven näherte sich zögernd der Dachstube. Als er Einblick bekam, offenbarte sich ihm ein tödlicher Kampf zwischen Schwester Maria und Goodman. Goodman hielt ein Messer in der Hand. Dasselbe Messer, mit dem er Sallivan den Kopf abgetrennt hatte. Schwester Maria streckte das Buch schützend vor sich hin.
    Goodman fuchtelte schnaubend mit dem Messer vor der Schwester hin und her. Er hatte eine Haltung eingenommen, als wolle er sie jeden Augenblick anspringen, um ihr die Klinge in den Leib zu stoßen. Schwester Marias Finger krallten sich fest um das Buch. Ihre Augen fixierten nur den Internatsleiter. Rouven, der im Türrahmen stand, hatte sie noch nicht bemerkt. Goodman stand mit dem Rücken zu ihm. Plötzlich, ein Zucken ging durch Goodmans Körper. Mit einem Aufschrei schnellte er vor.
    „Nein –“, schrie Rouven entsetzt. Schwester Maria blickte zu ihm. In diesem Moment stach Goodman zu. Die Klinge streifte das Buch, wurde abgelenkt und bohrte sich in die linke Brustseite. Der Glanz in ihren Augen brach. Sie zuckte und brach in sich zusammen. Goodman starrte entsetzt auf die Schwester. Tot lag sie vor ihm, das Buch an sich gepreßt.
    „Mein Gott“, hauchte er. „Ich – ich – .“
    Rouven wagte nicht, sich zu rühren, dennoch setzte er einen Fuß in das Zimmer. Goodman registrierte ihn nicht. Fassungslos stierte er nur auf das Blut, das den Boden rot verfärbte. Rouven mußte all seine Kräfte in sich zusammenreißen, um nicht die Beherrschung zu verlieren. Zentimeter für Zentimeter näherte er sich der Schwester. In seinem Inneren hörte er die Stimme seines Vaters zu sich sprechen. Die Worte, die er noch vor wenigen Minuten in dem Brief gelesen hatte. Sie gaben ihm Kraft. Sie halfen ihm, das Buch an sich zu nehmen, es aus der Umklammerung der ermordeten Schwester zu entfernen. Goodman hinderte ihn nicht daran.
    Blut tropfte an dem Buch herunter, als Rouven es Schwester Maria aus den Armen nahm. Ohne sich noch einmal umzudrehen, verließ Rouven das Zimmer. Seltsamerweise schien das Gepolter von niemandem gehört worden zu sein. Es war überaus still. Unheimlich still. Rouven verließ das Lehrerhaus, das Buch fest an sich gepreßt, wie es Schwester Maria in ihren letzten Minuten getan hatte. Fest an sich gepreßt zum Schutz vor dem tödlichen Stich. Wäre Rouven nicht gewesen, würde die Klinge nun in dem dicken Einband stecken? Rouven versuchte diese Frage zu verdrängen. Die letzten Tage hatten ihn hart gemacht. Hart gegen sich, hart gegen seine Widersacher. Freunde besaß er nun keine mehr. Freunde, hatte er jemals welche gehabt? Ja! Jeremie. Aber auch er war ein Opfer dieses Buches geworden. Ein unschuldiges Opfer. Jeremie war sein Freund, sein einziger Freund. Seit wenigen Tagen tot. Ist es wirklich das Buch gewesen? Hatte wirklich dieses Buch Schuld an seinem Tod? Rouven erhoffte Antwort darin zu finden. Ebenso wie Pater Richmon. War er wirklich nur seinetwegen hier? Um ihn, wie er einmal gesagt hatte, auf den richtigen Weg zu weisen? Und dieses Geschöpf? Rouven wußte nun, daß nicht Pontakus, sondern Bifezius, der Wahnsinnige, es ist. Wer aber ist dann Pontakus? Wird er wirklich wiederkommen, um sein Werk fortzusetzen? Wem konnte Rouven sich nun noch anvertrauen? Wem? Vielleicht stand noch etwas in dem Brief seines Vaters darüber. Ganz hatte er ihn nicht lesen können. Aber sein Ziel schien erreicht zu sein. Er besaß das Buch. Oder war dies nur ein Anfang? Ein Anfang von was?
    Rouven wußte nichts. Gar nichts! Fragen über Fragen häuften sich, die er nicht beantworten konnte. Mit gesenktem Kopf begab er sich auf die Kirche zu. Durch den Hintereingang betrat er die heilige Stätte.
    *
    Das Geschöpf schleifte Richmon an einem Bein den dunklen Gang entlang.

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