Das Buch der Schatten: Roman (German Edition)
starrten sie sich nur gegenseitig an. Hegten ihren Gedanken hinterher, sagten nichts. Bis Champy die drückende Stille unterbrach.
„Ich hasse dieses Buch“, hauchte er. „Am liebsten würde ich es verbrennen. Einfach verbrennen.“
Dumpkin drehte seinen Kopf zu ihm. Zornig funkelte er ihn an. „Bist du wahnsinnig“, zischte er. „Wir haben ein Bündnis mit dem Buch abgeschlossen. Es ist ein Teil von uns. Verstehst du? Von uns!“
Ellinoy wurde plötzlich schwarz vor Augen. Er schwankte, taumelte zurück. Gerade noch konnte er sich am Kleiderschrank festhalten. Bestürzt sahen seine Freunde ihn an.
„Was ist mit dir?“ erschrak Dumpkin. Er wollte zu ihm aufspringen, doch mit einem Wink wehrte ihm Ellinoy ab.
„Geht schon wieder“, stammelte er. Schwerfällig lehnte er sich gegen den Schrank, atmete mehrmals tief durch. „Heute nacht“, kam es nur leise über seine Lippen. „Ich habe von Pater Richmon geträumt. Es, es war grausam, schrecklich. Dieses, dieses Ding hat ihm, es hat ihm das Gesicht –“ Ellinoy zitterte am gesamten Leib. Mit aufgerissenen Augen blickte er von Dumpkin auf Champy. „Weißt du, was ich meine?“ fragte er Champy kaum hörbar. „Sein, sein Gesicht. Dieses Ding, es, es hat sein Gesicht.“
„Sein – Gesicht?“ wiederholte Champy. Entsetzen war in seinen Augen zu lesen. „Du hast es auch – geträumt? Du auch?“
Ellinoy nickte nur. Stumm wanderte sein Blick auf Dumpkin. Er sah ihm an, daß auch Dumpkin diesen fürchterlichen Traum hatte.
„Und – jetzt?“ flüsterte Ellinoy.
„Wir geben es ihm“, sagte auf einmal Showy. „Wir geben ihm dieses verdammte Buch. Ich will nichts mehr davon wissen!“
„Es ist das beste“, stimmte Champy bei. Fragend musterte er Dumpkin.
„Und du?“, murmelte Ellinoy, dessen Blick nicht von Dumpkin wich. „Wie denkst du?“
Dumpkin schüttelte mit dem Kopf. „So schnell gebe ich nicht auf“, erwiderte er. „Sallivan ist auch noch am Leben. Er ist nicht tot. Genauso ist es mit Richmon. Der Traum hat nur eine Bedeutung. Nichts anderes. Gehen wir ins Lager. Beraten wir uns im Lager weiter. Scheiß auf den Unterricht heute. Gehen wir, jetzt gleich!“ Dumpkin stand auf. Mit einer leichten Kopfbewegung schüttelte er sich die Haare aus dem Gesicht. Auffordernd musterte er seine Freunde. „Wir sind doch immer noch die Unzertrennbaren , oder?“ Das schien zu wirken. Wider Erwarten stimmten sie ihm nacheinander zu. Sogar Showy nickte nach einigem Zögern.
„Ich wußte, daß wir zusammenhalten. Ich wußte es.“
Kaum wurde etwas gesprochen, als sie nebeneinander den Hof überschritten. Die meisten Schüler befanden sich um diese Zeit noch im Speisesaal. Nur wenigen begegneten sie auf dem Weg zum Eingangstor. Es war verschlossen. Dumpkin blickte um sich. Keiner der Lehrer schien in der Nähe zu sein. Gemeinsam schoben sie den Balken zurück, öffneten den Flügel und verließen das Internat. Hintereinander drangen sie in den Wald. Ellinoy machte den Anfang, Champy bildete den Schluß. Ängstlich schauten sie immer wieder um sich. Für Champy war es seit dem Verlust seines Fingers das erste Mal, daß er das Internat wieder verlassen hatte. Leicht begann die Wunde zu schmerzen. Manchmal war ihm, als wäre der Finger noch dran. Ein sonderbares Gefühl überkam ihn dabei, vor allem in diesen Momenten, in denen ihm die Anstrengung zu schaffen machte.
Ohne Außergewöhnliches beobachtet zu haben, gelangten sie zu ihrem Schlupfwinkel. Showy machte sich sofort daran, den Einlaß zu öffnen. Erst nachdem er ihn sorgfältig wieder verschlossen hatte, unterbrach Dumpkin die Schweigsamkeit.
„Das Buch“, sprach er beinah feierlich. „Glaubt mir, es ist auf unserer Seite. Ihr dürft es nicht einfach aufgeben. Es wäre so, als würdet ihr euch selbst aufgeben.“
Showy schüttelte abwehrend seinen Kopf. „Pater Richmon meint es ernst“, versuchte er Dumpkin zu widerlegen. „Wenn er will, kann er uns ganz schön eine reindrücken. Ich mach da nicht mehr mit.“ Dumpkin blickte Showy ärgerlich an, entgegnete aber nichts darauf.
„Mann, versteh doch, Dumpkin.“ Mit feuchten Augen sah Showy auf seinen Freund. „Ich hab Schiß! Verdammt noch mal, ich hab einfach Schiß!“
„Ach Quatsch!“ versuchte Dumpkin einzuwenden. „Der will uns nur einschüchtern, sonst nichts.“
„Woher weiß er, daß wir es besitzen?“ fragte Ellinoy, ohne jedoch eine Antwort zu erwarten. „Verdammt noch mal, woher weiß er es, woher?“ Er
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